Schwimmen in der Nacht
Bluse und schwarze Hosen; sie hatte sich die Haare gekämmt, sah aber dennoch alles andere als erfrischt aus.
«Nichts», sagte Peter.
«Weck Elliot nicht auf. Stell die Musik leise. Morgen ist Schule.»
Dann ging sie nach unten.
«Sie tut so, als wäre nichts passiert», sagte Peter ungläubig. Er zog eine Jimi-Hendrix-Platte raus. «Hör dir das Lied mal an. Ich möchte es auf der Party spielen.»
Er legte «Crosstown Traffic» auf, hob die Nadel und spielte immer wieder verschiedene Stellen des Liedes an. Er summte eine Begleitung zu jedem der Instrumente â Gitarre, Klavier, Bass. Er trommelte den Rhythmus auf den Knien und hielt das Lied an, wenn er einen Schlag verpasste, so lange, bis er den Rhythmus draufhatte. Ich fühlte mich geehrt, dabei sein zu dürfen.
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Morgens hörte ich, wie Clarisse Töpfe auf den Herd stellte. Der Geruch nach Kaffee und der Klang von Vaters schroffer Stimme drangen mit voller Wucht zu mir durch.
«Auf, auf, alle miteinander!», rief er aus dem vorderen Flur. «Die Zeit läuft, auch für euch. Sarah! Elliot! Robert! Aufstehen! Machtâs gut!»
Die Tür schlug krachend ins Schloss. Vater lieà den Motor an und fuhr zur Arbeit, statt zum Zug zu laufen. Manchmal tat er das. Ich stand auf und inspizierte die Sachen in meinem Schrank. Ich hatte überhaupt nichts Schwarzes, also zog ich einen roten Faltenrock und einen dazu passenden roten Pullover an. Mein Davidstern glänzte auf der roten Wolle. Ich rief mir in Erinnerung,dass ich etwas entgegnen würde, wenn noch mal jemand «Judensau» zu mir sagte, und wenn es ganz schlimm wurde, würde ich zum Direktor oder zu Mr Edwards gehen. Ich würde es diesen Leuten am Zaun schon zeigen. Ich steckte die Strümpfe in mein Französischlehrbuch.
Unten in der Küche stand Mutter in einem blauen Morgenrock am Herd und kochte Haferflocken.
«Ich bin spät dran», sagte ich und ging mit einer Hand in der Jackentasche durch die Küche.
«Was ist mit deinem Frühstück?»
«Kann nicht.»
Ich schlich um den Holzhaufen mitten in der Küche herum, dessen Spitze mir bis zu den Schultern reichte.
«Elliot, setzt dich hin und iss», sagte Mutter.
Ich öffnete die Hintertür. Ein kühler Wind schlug mir entgegen, als ich die Stufen zur Einfahrt hinunterrannte. Als ich in der Stadtbibliothek ankam, ging ich auf die Mädchentoilette, einen groÃen, engen Raum mit grünen und weiÃen Fliesen. Der Dampfheizkörper rasselte bei aufsteigender Wärme. Ich zog mir die Strümpfe an und trug Lippenstift auf. Ich fühlte mich glamourös, als ich wieder nach drauÃen trat, und die kühle Luft strich an meinen glatten, fast nackten Beinen schimmernd hinauf wie Metallfedern. Ich beeilte mich, in die Schule zu kommen, ohne allerdings zu rennen. Ich wollte Margaret und Sophie sehen â und Anthony. Ich wollte so schnell wie möglich wieder in den dämmrigen und überhitzten Gängen sein.
9. Kapitel
Solo
Auf der Suche nach Mutter streiften Peter und ich durch die Gänge des New England Conservatory. Wir waren nicht unbedingt in der besten Gegend des Bostoner Zentrums. Das Konservatorium grenzte an die Stadtteile Roxbury und South End; es war ein Juwel zwischen heruntergekommenen Häusern und Horden Heroinabhängiger. Mutter hatte uns abgesetzt, um nach einem Parkplatz zu suchen.
Es war Jahre her, dass Mutter Mrs Janson zuletzt gesehen hatte, deren erstaunliche Tochter Justine als herausragende Opernsängerin brillierte. Die Aussicht auf das Wiedersehen mit einer alten Highschool-Freundin und ihrer reizenden Tochter zauberte beim Abendessen einen glücklicheren Ausdruck auf Mutters Gesicht und auch später noch, als sie in mein Zimmer kam, um mir einen Gutenachtkuss zu geben. Sie saà dort, wo das Laken über die Decke gefaltet war, und beim Reden klang sie wie vor einer Party oder einem Ausflug mit dem Country Club.
«Justine singt seit ihrem zweiten Lebensjahr», sagte sie und stand jetzt mitten in meinem Zimmer. «Sie ist einfach einer von diesen Menschen, die von Anfang an wissen, was sie wollen.» Mutter reckte ihr zartes Kinn vor, um das Gesagte zu bekräftigen.
«Ist sie nett?», fragte ich. «Ist Justine freundlich?»
«Freundlich?» Sie schaute mich an, wie ich rücklings da auf dem Bett lag. «Das nehme ich an. Ihre Mutter ist auf jeden Fall sehr
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