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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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Zigarettenstummel in den Rinnstein und drehte einen langsamen Kreis auf der Straße.
    Â«Es ist einfach nicht in Ordnung», sagte Sophie.
    Â«Verzeiht ihr mir jetzt oder nicht?»
    Â«Sag das einfach nicht noch mal. Nie wieder», sagte ich.
    Er kam auf mich zu und stand ganz dicht vor mir, ich roch sein Parfüm und den Geruch nach Zigarette in seinem Atem und den frischen Schweiß. «Ganz bestimmt nicht. Versprochen. Okay?»
    Wir kamen zuerst an Sophies Haus vorbei; ein weißes im Kolonialstil mit blauen Fensterläden. Sie rannte den Plattenweg hoch zu einer Seitentür und winkte zum Abschied. Drinnen wartete ihre hübsche Mutter schon auf sie. Ihr Chirurgen-Vater würde erst spät nach Hause kommen. Aber Sophies Familie war eine Zwei-Eltern-Familie. Vollständig. Ich fragte mich, ob ihr Vater Mutters verkrüppelte Finger hätte heilen können.
    Der Gedanke missfiel mir. Er tat weh, nahm mir die Luft zum Atmen, außerdem sollte Anthony nichts davon merken. Aber auch er war nachdenklich geworden, als wir in der Dunkelheit den Hügel hinab und einen anderen wieder hinauf zu meinem Haus liefen. Straßenlaternen leuchteten uns den Weg. Es war die Zeit am Abend, wenn die Leute das Licht anschalten und die Rollläden noch nicht heruntergezogen haben. Ich konnte direkt in die teuer eingerichteten Wohnzimmer fremder Leute sehen. Kristallleuchter. Wände mit raffiniert geblümter Tapete.
    Â«Ganz schön wohlhabende Gegend, wo du hier wohnst», sagte er schließlich und steckte sich noch eine Zigarette an, wobei er eine Hand als Schutz gegen den Wind darüberhielt. «Du hast’s gut.»
    Â«Es ist nicht, wie du denkst», sagte ich.
    Er nickte, und ich glaube, er konnte meine Gedanken lesen, denn er hob die linke Hand und berührte meine Haare.
    Â«Ich würde dich gern küssen, aber ich habe eine Freundin», sagte er. Er sagte das, ohne zu lächeln. Das war kein Spaß. Am Ende meiner Straße blieb ich stehen. Ich hätte ihn auch gern geküsst, aber ich schaute weg. Ich wollte es ihm nicht zeigen.
    Â«Da wär’n wir», sagte ich und deutete auf die Straßenseite, wo ich wohnte.
    Â«Welches ist es?»
    Ich zeigte auf unser Haus. Das Licht im Erdgeschoss war an. Auch in Roberts Zimmer brannte Licht, die Fenster im Esszimmer und die runde weiße Lampenkugel strahlten Kühle aus. Mutters Zimmer lag imDunkeln, eine Schmerzhöhle, die Anthony nicht sehen konnte. Ich schaute zu Boden und verkniff mir die Tränen.
    Â«Alles in Ordnung?»
    Â«Jetzt fühle ich mich sicher. Danke.»
    Er nickte und drehte sich um. «Wir sehen uns in der Schule.»
    Ich schaute ihm nach, als er ging. Ich schaute ihm nach, bis er am Fuß des Hügels angekommen war und mit der Dunkelheit verschmolz, wie jemand, der sich in die Wildnis begibt.

 
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13. Kapitel
Amorph
    Mein jüngster Bruder kam mit der unsichtbarsten aller unsichtbaren Gaben auf die Welt: Glauben. Er kam weise auf die Welt. Elliot konnte mit den emotionalen Strömungen, die die Wogen in unserem Zusammenleben hochgehen ließen, von Geburt an mitschwimmen. Und zwar ganz intuitiv und unschuldig, als ob jeder Sturm in unserem Familienmeer ganz natürlich wäre. Er konnte gar nicht anders. Wohl keiner von uns. Aber er war besser darin, die Dinge hinzunehmen, wie sie waren.
    Seine Ankunft verstärkte Mutters Verschlossenheit noch. An ihren regelmäßigen Rückzug war ich gewöhnt, sei es, dass sie sich in den Garten, ans Telefon oder in den Country Club flüchtete, aber nach Elliots Geburt wurde ihre Abwesenheit zum Dauerzustand. Wir waren Wesen, deren Lebensfäden mit etwas Amorphem verbunden waren, zu dem wir Mutter sagten. Also hielt Elliot sich an seine Träume und imaginären Freunde.
    Liebe war etwas Fernes, das sich auf ein Zimmer im ersten Stock zurückgezogen hatte.
    Mutter war auf eine wundersame Weise ätherisch, und darum suchte Elliot nach Dingen, die er in den Händen halten konnte – Taktiles, Berührbares. Vor allem aus diesem Grund liebte er kleine Tierfiguren. Er schloss sie in sein Herz. Er vertraute ihnen sein emotionales Überleben an. An solchen Sachen hing er.
    Er war gierig nach jeder Art von Miniaturnachbildung. Er sammelte kleine Porzellanelefanten, auch Hunde, Tiger und Robben, die er in Kellogg’s-Packungen fand. Er entdeckte sie in Teekästchen. In dieser Phantasiewelt

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