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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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kümmerte er sich um verletzte Tiere und stellte seine zweite Familie zur Reparatur aufs Fensterbrett. Er hatte ganz genau verstanden, dass Lebewesen Sonne und Luft brauchten, Wind und Regen. Sie brauchten Pflege. Und Liebe.
    Das Besondere an seinen Tieren – und die Anzahl war so groß, dass Dora sich darüber beschwerte, in seinem Zimmer nicht Staub wischen zu können – war, dass sie zuhören konnten. Ein kurzer Blick von ihm und alle seine Tiere wussten, wie er sich fühlte. Eine leichte Bewegung seines Arms, ein argloses Nicken, und schon wussten sie Bescheid. Elliot hatte mir erzählt, dass seine Tiere das konnten. Sie kannten ihn am besten. Aus meiner Sicht waren die Tiere ein Ausdruck für sein intuitives Wissen und seine Einfühlsamkeit.
    Er fühlte einfach. Gleichzeitig sah er sich nicht wie Robert gezwungen, das, was er sah und fühlte, auch auszusprechen. Für Robert waren Wörter nicht notwendigerweise Ausdrucksmittel für Gefühle, sondern für einzelne Beobachtungen, Beschreibungen von Ereignissen und Dingen. Für Robert hielten Definitionen die Welt unter Kontrolle. «Der Grund für die lange Zeit der
Schiv’a
ist, dass
Schiv’a
auf Hebräisch sieben bedeutet, darum dauert
Schiv’a
sieben Tage.»
    Weiter wollte er in der Bedeutung nicht gehen.
    Bei uns zu Hause, wo immer Geschrei und Gezeter herrschten, verstand Elliot, wie wertvoll es war, still, gelassenund unbeirrbar zu bleiben. Bei uns zu Hause verhedderten sich die Stimmen wie Nähgarn in der hintersten Ecke einer Schublade. Um dem Zank aus dem Weg zu gehen, der zu winzigen, nicht zu lösenden Knoten wurde, zog auch er sich zurück, aber im Gegensatz zu Mutter, die eher ruppig und entschlossen auf ihren Rückzug zusteuerte, strahlte Elliot Sanftheit aus. In den Händen der Familie war er butterweich. Er lockerte den Druck, und indem er das tat, löste er Anspannungen um sich herum auf. So entzog er sich Vaters bohrenden Blicken und reagierte verlegen auf Roberts ständige Wutausbrüche: «Ich ertrage die Blicke dieser ganzen Leute nicht. Sag ihnen, sie sollen mich in Ruhe lassen.»
    Darum saß ich nach Mutters Tod nachmittags gern bei Elliot. Er nahm seine Tiere zu Hilfe, um die Angst in mir auszudrücken, die er mitempfand. Wenn er die Beziehung zwischen seinen Porzellanelefanten erklärte oder die Geschichte, wie einer seiner Tiger zu einer angeschlagenen Pfote gekommen war, klang es wie ein Vortrag. Dann entspannte ich mich. Fühlte mich wieder sicher, auf gewisse Weise wieder normal.
    Â«Es tut ihm nicht weh», erklärte er mir und drehte den lackierten Löwen im Sonnenlicht. «Er kann mittlerweile richtig gut damit laufen. Er merkt es gar nicht mehr.»
    Â«Woher willst du das wissen?»
    Â«Weil er es mir gesagt hat.»
    Seine Tiere konnten ihn hören, jeden Ton und jeden Akkord in den Harmonien seines Körpers. Es mag sein, dass ihm die Art, wie Vater mit Peter redete, nicht gefiel. Es mag sein, dass ihm nicht in den Sinn wollte, warumRobert stichelte und sich gedankenlos verhielt – Roberts Fähigkeit, schon aus geringstem Anlass für Verstimmung zu sorgen –, wenn es beispielsweise darum ging, dass Elliot seine Fische nicht anfassen durfte. Elliot absorbierte aber diese Aggressionen irgendwie und verarbeitete sie dann in den seelisch ergiebigen Gesprächen mit seinen Tieren.
    Â«Die Kühe stehen auf der Weide und schauen zu, weil sie verständiger sind als die anderen», sagte Elliot.
    Man hätte leicht glauben können, dass Elliot aufsässiges Verhalten anderer einfach nicht mitbekam, wohl weil er es nicht anders kennengelernt hatte. Aber ich wusste, dass das nicht stimmte. Er hatte einfach beschlossen, bestimmte Eigenheiten anderer Leute zu ignorieren. Robert war immer gemein zu Elliot, wenn er in sein Zimmer kam, um sich die Fische anzusehen. Das Aquarium wirkte wie ein Magnet auf Elliot. Von seinem überwirklichen Licht ging eine Stille und Intensität aus, mit der Elliot sich identifizierte. Robert, der völlig von den konkreten Details von Fischen und Aquarium, Fischfutter und Filter eingenommen war, entgingen die Feinheiten dessen, was Elliot sah, und er blaffte ihn an, dass er sich verziehen oder die Scheibe nicht anfassen solle. Aber ganz gleich, wie grob Robert auch klang, Elliot hatte verstanden, wie sein älterer Bruder reagierte und unterlief seine Schroffheit einfach. Er berührte

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