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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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seines letzten Highschooljahres, seiner Band und dem im Frühling bevorstehenden Abschluss völlig in Anspruch genommen war, kam jeden Abend, wie auch vorher schon, immer noch später nach Hause. Seitdem Anthony mich nach Hause begleitet hatte, wurde er mit jedem Tag immer noch unnahbarer. Also versuchte ich, mich auf die Schularbeit zu stürzen und auszublenden, was mich schmerzte. Ich übte Klavier, rasselte die Tonleitern rauf und runter, verdrängtejeden anderen Gedanken und dachte nur noch über die Musik nach. Die Harmonien beschützten mich.
    ~~~~~~~~~~~
    Dann kam ich irgendwann im Frühling abends nach Hause und traf auf Vater und Miss Delgarno, die im Herrenzimmer große Gläser Wodka tranken.
    Â«Sarah», sagte sie und stand so übertrieben schnell auf, als würde sie auf einem Nadelkissen stechender Schuldgefühle sitzen.
    Â«Was machen Sie denn hier?», sagte ich.
    Ich schaute sie prüfend an. Sie war eine von den Frauen, die immer zu viel Make-up auftrugen. Ihr Lippenstift wirkte auch ein wenig schlüpfrig, ganz anders als der weich aufgetragene, pudrige Hauch, den Mutter so gut beherrscht hatte. Miss Delgarnos Minirock war ein bisschen zu kurz, und als ich dort im Zimmer stand und mich fragte, was ich von all dem halten sollte – ich wollte mich auch nicht wie ein Idiot aufführen –, sah ich, wie sie am Saum zupfte und die Knie übereinanderschlug, als könnte sie so das erbärmliche Design und seltsame Muster wettmachen, alles ganz und gar nicht maßgeschneidert und perfekt sitzend wie die Sachen, die Mutter immer getragen hatte. Miss Delgarno war allerdings auch viel jünger und versuchte allzu angestrengt, hip zu sein.
    Â«Ich habe Sherry gefragt, ob sie mit uns zu Abend essen möchte», sagte Vater.
    Ich nickte. Mutter hatte ihre Kleidung immer stilvoll zusammengestellt, Seidenoberteile mit farbenfrohen Tüchern kombiniert oder mit einer Anstecknadel das Spießigeeines dreiteiligen Kostüms konterkariert, sodass der Kragen golden glitzerte. Miss Delgarno nicht. Sie hatte etwas Chaotisches. Ihr breites Lächeln war zu bemüht.
    Â«Setzt du dich kurz zu uns?», fragte sie.
    Â«Wohin denn?», sagte ich und sah mich im Zimmer um. Sie hatte Mutters Sessel in Beschlag genommen, und das Sofa, wenn auch frei, stand gefühlte Kilometer von den Sesseln entfernt am Fenster. Ich hatte nicht die Absicht, ihr dabei zu helfen, sich bei uns wohl zu fühlen. Und mir gefiel überhaupt nicht, wie sie «uns» sagte. Was hatte sie hier eigentlich verloren?
    Vaters Lächeln sah eher schmerzlich aus. Ich verachtete die Schwäche in seinem Blick, die mir sagen sollte,
bitte, Sarah, ich habe keine Kraft.
    Ich drehte mich um und ging aus dem Zimmer, eigentümlich triumphierend in meinem Verlangen, ihr wehzutun, ohne Rücksicht auf ihn. Doch sie – ich wollte sie hier nicht. Sie war mir nicht willkommen. Sie würde sich schon mehr anstrengen müssen, das schwor ich mir, und mit diesem Vorsatz wurde mir eine Spur leichter, ich fühlte mich nützlicher, ich wurde zu einer Frau mit einem Ziel.
    Beim Abendessen patroullierte Dora um den Tisch. Wir warteten gar nicht erst auf Peter. Er aß abends nur noch selten mit uns.
    Â«Robert, sitz gerade. Leg das Buch weg. Beim Essen wird nicht gelesen. Sarah, hilf Elliot mit dem Hähnchen. Schneid es ihm klein. Miss Delgarno, was möchten Sie trinken?»
    Â«Nichts, vielen Dank. Und sagen Sie doch bitte Sherry zu mir.»
    Dora presste die Lippen aufeinander und sah mich an. Uns beide durchzuckte ein missbilligender Blitz. Auch ihr gefiel nicht, was sie da auf Mutters Stuhl sitzen sah. Ich hatte mich so an Doras scharfen Blick gewöhnt, mit dem sie die unweigerlich an mir zu erkennenden Mängel registrierte, dass ich mich daran ergötzte, wie sich ihre Aufmerksamkeit jetzt auf ein neues Opfer richtete. Dora verhielt sich äußerst zurückhaltend, und das machte sie zu meiner Komplizin. Kurz verspürte ich eine freudige Erregung, ein seltenes Gefühl der Verbundenheit.
    Vater sagte: «Sherry, du solltest Robert unbedingt nach seiner Buchreihe über die Zeit fragen.»
    Â«O ja, ich würde zu gern etwas darüber hören.»
    Â«Da gibt es nichts zu erzählen. Sie können es selbst lesen», sagte Robert.
    Vater verzog das Gesicht. Vor ein paar Monaten hätte er noch herumgeschrien, aber aus seiner Schreierei war eine Art Trauerspiel

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