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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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die Scheibe trotzdem bei jedem seiner Besuche in Roberts Zimmer, immer im Wissen, dass Robert seine blödsinnigen Einsprüche vom Stapel lassen würde, denn genau das waren sie: blödsinnig, undurchdacht. Genau das verlieh Elliot Bedeutung, zeugte von seiner Selbsterkenntnis und seinemnatürlichen Verständnis dafür, wie unterschiedlich die Menschen auf ein und denselben Reiz reagieren.
    So kam es, dass Elliot auch einen Weg fand, Mutters Tod zu akzeptieren, auch wenn er dazu seiner Weisheiten bedurfte und ein trauriges Gesicht machte. Er akzeptierte das Irrationale daran. In seiner Gedankenwelt, der eines Neunjährigen, dessen emotionale Reife den noch ungeschickten Körper überholt hatte, legte er sich zurecht, dass Gott eine Art Ton wäre und alles auf der Welt verschiedene Formen besaß – also auch Mutter –, und dass Mutter ihre Form verloren hatte, aber immer ein Teil von uns blieb. Da war er sich ganz sicher.
    Â«Mutter besucht mich nachmittags nach der Schule», sagte er.
    Ich saß auf dem Boden in seinem Zimmer und schaute ihm zu, wie er Hunde und Katzen in einem Kreis aufstellte, und zwar immer abwechselnd Hund, Katze, Hund, Katze. Ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Was er gesagt hatte, machte mir Angst und tröstete mich.
    Â«Wie?»
    Â«Sie kommt mit dem Wind.»
    Â«Elliot, das ist wunderschön.»
    Â«Du glaubst mir nicht.»
    Ich wusste selbst nicht, ob ich ihm eigentlich glaubte oder nicht, aber ich spürte ihre rätselhafte Stille, ihre vielschichtige stumme Gegenwart, ein unausgesprochenes Rätsel, das ich nicht gelöst hatte.
    Â«Ja und nein. Ich weiß es nicht. Das ist verwirrend.»
    Wenn diese frühen Abende, diese Vorboten eines Wetterumschwungs sich zu irgendetwas addierten, was wie eine geisterhafte Substanz wirkte, dann glaubte ichihm. Aber ich hatte meine Zweifel. Zweifel verwirrten mich. Die Frage würde bleiben. Trotzdem beruhigte es mich, neben Elliot zu sitzen. Wenn er damit umgehen konnte, konnte ich es auch.
    Dennoch wurde mir allmählich klar, dass diese Frage – meine Mutter – bei mir bleiben, mir überall hin folgen würde. Sie trieb in mir dahin, eine Boje ohne Boot.
    ~~~~~~~~~~~
    Mit jedem neuen Schultag wurde ich von einem unsichtbaren Abkommen weitergetrieben, einem Vermeidungskodex, einer gequälten sozialen Verhaltensregel, die besagte, dass man mir mit Schweigen wohl besser weiterhalf. Keiner sagte ein Wort über Mutter, genauso wenig wie ich, als hätte man mich in den Weltraum geschossen, wo sich Schallwellen nicht ausbreiteten. Ich hörte nichts in der Dunkelheit; sah nur Lichtfetzen in der Ferne, dunkles Reflektieren in Sophies Augen, eine Andeutung der Anspannung in Mr Giles Schultern; Margaretes Entschlossenheit, mit mir eine Zigarette zu rauchen.
    Wenn keiner darüber redete, dann würde die ganze Tragik einfach verschwinden, und das würde mir helfen, klarzukommen, so als ob dieser unausgesprochene Kodex die Macht besäße, Mutter wieder neu zu erfinden, und damit auch mich. Und irgendwie gelang das auch. Es dominierte jedes Gespräch. Es war der Grund für die Art, wie manche Kids vermieden, mich anzuschauen, oder sich nervös wegdrehten, wenn sie mich auf dem Gang sahen. Ich lebte in einer Kapsel, einer gewaltigenSchweigeblase, an die ich mich irgendwann so gewöhnt hatte, dass ich mich in ihr versteckte.
    Als Mutter nicht mehr da war, entzog sich Vater der häuslichen Routine und überließ alles Dora, obwohl es eine enorme finanzielle Belastung bedeutete, sie voll zu bezahlen, zumindest sagte er das. Er trat aus dem Country Club aus, angeblich um Geld zu sparen, aber ich glaube, es ging dabei um mehr als das. Der Club hatte ihm nie etwas bedeutet. Der Club war Mutters Wirkungsstätte gewesen; außerdem ging es mit dem Familienunternehmen unter Onkel Max’ Leitung bergab. Es sah so aus, als würde es bankrott machen.
    Und was bedeutete sechs Uhr abends überhaupt noch, wenn Mutter nicht mehr da war, um ihn, die Treppe runterkommend, zu begrüßen, ohne ihr makelloses Gesicht, in dem er selbst sich spiegeln konnte? Wir begannen, unser Essen in der Küche einzunehmen, saßen nebeneinander auf unseren Barhockern, während Vater am Fenster stand und zerstreut kaute, wobei ihm sein Essen herunterfiel, als wären es Teile von ihm selbst.
    Robert und Elliot gingen immer noch zusammen zur Schule. Peter, der von dem Trubel

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