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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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geworden, seine Augen waren immer so feucht, als wäre er so randvoll mit Tränen wie die Gläser mit Wodka; seine Wangen waren stets gerötet, noch immer aufgeweicht vom Weinen. Vater nahm noch einen großen Schluck von seinem Drink und aß dann weiter sein Hähnchen.
    Â«Euer Vater hat mich eingeladen, mit euch zu essen», sagte Miss Delgarno. «Ich hoffe, ihr habt nichts dagegen. Ich möchte gern für euch da sein, wo ich nur kann.»
    Ich hatte sehr wohl etwas dagegen. Für wen hielt sie sich eigentlich, so was zu sagen? Warum sollte von all den Leuten, die ich kannte, Lehrern und Freunden, ausgerechnet sie diejenige sein, die kein Blatt vor den Mund zunehmen brauchte? Dora verließ das Zimmer, polterte so durch die Schwingtür, dass die Scharniere quietschten und die Türen klapperten.
    Elliot beschloss, uns etwas über Klapperschlagen zu erzählen.
    Â«Wusstet ihr, dass manche Klapperschlangen Eier legen und andere Schlangenbabys kriegen?»
    Â«Echt seltsam», sagte Robert. «Die stecken zwischen zwei evolutionären Zyklen fest.»
    Â«Das habe ich gar nicht gewusst», sagte Miss Delgarno und blickte Elliot und Robert an. Sie legte die Gabel ab. «Darüber muss ich erst mal nachdenken. Was meinst du dazu?»
    Elliot zuckte mit den Schultern. «Ich mag Schlangen», sagte er und spielte mit den Erbsen. Ein paar fielen ihm von der Gabel und kullerten über den Tisch auf den Boden. Er grinste, und an einem anderen Tag hätte ich vielleicht gelacht, aber heute nicht.
    Dora kam wieder herein.
    Â«Ich bin fertig», sagte ich und reichte ihr meinen Teller.
    Â«Dürfen wir aufstehen?», fragte Robert.
    Â«Was ist mit dem Nachtisch?», sagte Vater und schaute zu Dora.
    Ich stand auf. «Ich will keinen.»
    Ich wollte keine weitere Sekunde mit Miss Sherry verbringen.
    Robert schob seinen Stuhl zurück. «Ich auch nicht.» «Wenn Sie wollen, zeige ich Ihnen meine Tiere», sagte Elliot zu ihr.
    Sherry sah Vater an, der ihr zunickte.
    Â«Er ist ein richtiger Sammler.»
    Dann wandte sie sich an Dora. «Kann ich Ihnen helfen?»
    Â«Ich erledige das schon.»
    Ich ging auf mein Zimmer, um Hausaufgaben zu machen, hörte aber jeden Schritt, den Miss Delgarno in unserem Haus tat. Hörte, wie sie nach oben in Elliots Zimmer ging, weil Elliot niemanden verurteilte, weil er jeden annahm, der freundlich war, weil er bereit war zuzuhören. Ich hörte sie wieder nach unten in Vaters Arbeitszimmer gehen. Sie blieb sehr lange in Vaters Arbeitszimmer. Ich hörte traurige Musik laufen, melodische Frank Sinatra-Klänge, dann die munterere Stimme von Ella Fitzgerald. Ich wartete und wartete, dass sie endlich
gehen
würde.
    Als ich unter der Dusche stand, klopfte Dora an die Tür, um mir zu sagen, dass ich noch warmes Wasser für meine Brüder übrig lassen sollte. An ihrem sanften Ton erkannte ich, dass sie auf meiner Seite war. Ich knurrte: «Okay!», weil ich so daran gewöhnt war, meine Gefühle vor ihr zu verbergen, um ihr keine Angriffsfläche zu bieten, aber unsere Verschwörung hob meine Stimmung, ich tauchte meine Augen und meinen Kopf unter Wasser, verlor mich im warmen Nass und zwang mich, das Wasser abzudrehen, bevor kein warmes mehr da war, einfach weil sie mich darum gebeten hatte.
    Miss Delgarno ging aber nicht. Sie war immer noch da, als ich Elliot zugedeckt hatte und er eingeschlafen war; auch nachdem Robert das Licht ausgemacht hatte; auch nachdem das Spülprogramm durchgelaufen war. Doras Fernseher summte weiter, und unter Vaters Arbeitszimmertür sickerten Klänge von Glenn Millers Band hindurch.
    Sie war immer noch da, als Peter nach Hause kam. Ich roch, dass er eine Bierfahne hatte. Seine Armeejacke verströmte stechenden Zigarettengeruch, gewürzt mit dem reichlich süßen Duft von Haschisch. Ich saß im Nachtlicht auf meinem Bett.
    Â«Sie ist immer noch da unten», sagte ich über Miss Delgarno.
    Â«Was hast du erwartet?», erwiderte Peter.
    Er verließ mein Zimmer, um nach oben zu gehen. Ich lag im Dunkeln und hörte die Top-40-Popsongs, bis ich einschlief. Vater hörte ich nicht nach oben kommen. Aber ich hörte ihr Auto die Straße hinabrollen.
    Als ich am nächsten Tag nach der Schule wieder nach Hause kam, war ich fest entschlossen, ein paar Dinge zu überprüfen. Ich ging auf direktem Weg in Vaters Arbeitszimmer und leerte einen Aschenbecher voll

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