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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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mit Miss Delgarnos lippenstiftbeschmierter Zigarettenstummel im Abfalleimer in der Küche aus. Es überraschte mich, dass Dora das noch nicht getan hatte, aber es schien, als hätte sie beschlossen, das Arbeitszimmer überhaupt nicht mehr zu betreten. Das Zimmer roch nach schlechtem Parfüm und Durchschlagpapier. Vater hatte das Schlafsofa ausgeklappt gelassen, die Decken waren zerwühlt und wirkten wie angespülter Seetang. Dort schlief er jetzt immer. Ein Grundstock sauberer Hemden und zwei Sportsakkos hingen an der Schranktür. Sein Rasierbeutel lag offen auf dem Schreibtisch. Ich überprüfte das untere Bad, und entdeckte sie: seine vom morgendlichen Gebrauch noch nasse Zahnbürste im Badezimmerschränkchen.
    Die Tür oben zum großen Schlafzimmer blieb geschlossen.Als ich sie öffnete, roch und wirkte es wie ein Zimmer, das saisonbedingt den ganzen Winter über leer gestanden hatte. Die Fenster waren abgedichtet worden und die Luft roch steril. Ich ruckelte eines der Fenster auf. Mutter hätte es nicht gefallen, dass ihr Zimmer von ihrem geliebten Garten abgeschnitten war. Der Rasen grünte und von überall her strömte ein Geruch nach neuem Wachstum: von den Baumrinden, von den Knospen dorniger Büsche. Man konnte sich ihm gar nicht entziehen.
    Ihre Sachen hingen im Schrank, noch immer in der Folie von der Wäscherei. Ich stand vor den Kleidern und wartete auf etwas, worauf, wusste ich nicht, und presste mein Gesicht in das rosa Kleid, das sie auf einer Silvesterparty im Club getragen hatte, und atmete
sie
ein. Kurz streckte ich die Hand zum Geigenkasten auf dem Regalbrett aus, überlegte es mir dann aber wieder anders. Stattdessen holte ich das Schminkköfferchen aus der Schublade in ihrem Ankleidezimmer.
    Am nächsten Tag schminkte ich mich für die Schule mit ihrem Kajalstift und ihrer Mascara, hatte auch etwas Lippenstift aufgetragen. Dora bemerkte es. Sie wollte schon etwas sagen, als ich aus der Tür ging, aber ich war bereit. Ich war bereit, ihr zu sagen, dass ich Mutters Make-up trug und dass sie nichts tun konnte, um mich davon abzuhalten. Nein. Also stutzte Dora, wie es Leute tun, wenn sie eine Veränderung spüren und davon überrascht und machtlos sind. Noch nie war ich schroff zu ihr gewesen, normalerweise hatte ich ihre Anweisungen augenrollend und grimmassierend entgegengenommen, aber anstatt mich wie sonst anzuherrschen, legte sie mir die Hand auf die Schulter.
    Â«Steht dir besser als dieser Sherry-Frau», sagte sie und bekräftigte damit unseren Pakt. Hätte ich nicht ein Jahr lang gelernt, das nicht zu tun, ich glaube, ich hätte sie umarmen können.
    In Mutters Kommode entdeckte ich außerdem noch eine Reihe neuer Packungen Seidenstrümpfe und einen Strumpfhalter. Ich trug ihn nicht; ich wollte ihn für einen besonderen Anlass aufheben. Also versteckte ich alles in einer Papiertüte ganz weit hinten in meinem Unterwäschefach. Später im Laufe der Woche klaute ich eine andere, billigere Feinstrumpfhose bei Five & Dime.

14. Kapitel
Mond im Haus
    Bei der Probe für das Frühlingskonzert unserer Schule, für das sich Mr Edwards das Motto «Frühlingszeit am Broadway» ausgedacht hatte, stand ich inmitten eines Chors, der endlich zu harmonieren begann, auf der errichteten Tribüne. Mr Edwards zeigte mit dem Finger auf mich und bat mich fröhlich, den Soloteil in «Aquarius» aus dem Musical
Hair
zu singen.
    Ich liebte dieses Lied.
    Harmony and understanding,
    no more falsehoods or derisions.
    Das Lied machte Sprünge und Rhythmuswechsel, verwob Farben und Schätze mit den größeren Ideen von Offenbarung und Freiheit, Tierkreis und Universum. Wörter über Träume und Visionen wirbelten um mich herum, kleideten mich in Federn und Seide.
    Nach der Probe bedeutete mir Mr Edwards, noch dazubleiben. Ich winkte Sophie und sah zu, wie die Chormitglieder, manche paarweise, aus dem großen Raum strömten, bis auch die Letzte, ein Mädchen in Faltenrock und rotem Pullover, gegangen war. Mr Edwards setzte sich auf die Klavierbank.
    Â«Ich würde das Lied gern einmal mit dir durchspielen. Hast du noch Zeit dafür?»
    Ich nickte.
    Er rückte sich die Noten zurecht, markierte sichnoch bestimmte Stellen und legte die Finger auf die Tasten.
    Â«Fang leise an und steigere dich dann nach und nach. Denk an die Form eines Megafons – der Liedanfang ist an dem schmalen Ende. Und

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