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Schwimmen in der Nacht

Schwimmen in der Nacht

Titel: Schwimmen in der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Keener
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wenn du die Liedzeilen singst, dann stell dir vor, wie der Klang das breite Ende ausfüllt.» Er spielte das Intro und gab mir mit einem Nicken das Zeichen für meinen Einsatz.
    Â«
When the moon is in the seventh house –
»
    Â«Gut so. Weiter zu den Sternen hinauf. Jetzt die nächsten zwei Zeilen, bitte.»
    Ich sang vom Frieden und den Planeten. Ich sang davon, wie Jupiter auf Mars zuging. Ich sah mich, wie ich im Weltraum schwebte, auf Bahnen aus Sternenstaub entlangsegelte.
    Er hörte auf zu spielen und drehte sich zu mir um. Ohne Musik fühlte sich der Raum gähnend leer an. Auf einmal war ich winzig klein.
    Er strich die Noten noch einmal glatt. «Das ist gut. Sehr gut. Was meinst du, Sarah? Wie geht es dir denn momentan?»
    Â«Gut.» Ich nickte schnell, zu schnell und schaute zur Bühne, als ob es dort etwas zu sehen gäbe.
    Er lächelte und warf selbst einen Blick in Richtung Bühne.
    Â«Ich habe gedacht, dass Singen mehr ist als nur die Musik, es ist dein Leben. Das volle Paket. Deine Mom, deine Familie. Darum bin ich hier. Nicht nur, um diese Noten zu spielen.» Er schlug ein paar Töne an. «Ergibt das einen Sinn?»
    Â«Sicher. Okay.»
    Vielleicht hatte ich sarkastisch geklungen, wie meinem Onkel oder den Leuten gegenüber, die nach der Beerdigung auf mich zu gekommen waren, aber er war anders. Ich hatte das hier nicht erwartet. Ich spürte, dass es hier nicht darum ging, wie leid ich
ihm
tat, sondern dass ihm die ganze Situation leidtat. Ich hörte den Ernst in seiner Stimme – nicht bedrängend, nicht aufgesetzt.
    Â«Als ich ein bisschen älter war als du jetzt – so alt wie dein Bruder Peter –, ist mein Vater gestorben. Du und ich, wir wissen also, wie es ist, den wichtigsten Menschen in unserem Leben zu verlieren.»
    Ich nickte wieder, hatte aber nicht wie sonst den Impuls, fliehen zu wollen.
    Â«Er hatte Krebs. Ein großes Familiengeheimnis. Es ist nicht gut, diese Art von Geheimnissen zu haben.» Er tippte sich mit zwei Fingern an die Brust.
    Die Tür wurde aufgestoßen, und das Mädchen mit dem Faltenrock kam hereingerannt. «Hab was vergessen», sagte sie keuchend.
    Â«Rotes Notizbuch?», fragte er und zeigte auf einen Stuhl. Sie flitzte wieder raus, und er wandte sich wieder mir zu. «Wenn du also irgendwann mal das Gefühl hast, du musst was loswerden, dann komm vorbei. Jederzeit, es passt immer. Klopf einfach an mein Klavier.» Er lächelte. «Okay?»
    Â«Okay.»
    Â«Dein Gesang ist fantastisch. Jetzt musst du nur noch den Text auswendig lernen und dann hast du’s.»
    Ich sammelte meine Bücher ein und ging ziemlich benommen davon. Zum einen, weil er sich so persönlich an mich gewandt hatte, zum anderen wegen dem, was erüber seinen Vater gesagt hatte. In einem Traum eingesponnen, der den ganzen Weg an den Geschäften und Bäumen vorbei, bis in unsere Einfahrt anhielt, lief ich nach Hause – in dem Gefühl, nicht alleine zu sein. Er hatte auf dieser ungewollten Reise im selben Zug gesessen, ähnliche Landschaften vorbeiziehen sehen.
    Nach dem persönlichen Gespräch mit Mr Edwards summte ich das Lied jeden Tag zwischen meinen Kursen, unter der Dusche und auf dem Heimweg. Ich wurde zu diesem Lied.
    ~~~~~~~~~~~
    Am Abend des Chorkonzerts trug ich einen langen schwarzen Rock und eine weiße Bluse, aber untendrunter hatte ich behutsam ein Paar sandfarbener Nylonstrümpfe an Mutters Strumpfhalter befestigt. Sie fühlten sich prächtig an, ganz anders als die groben Strumpfhosen, die es bei Five & Dime zu kaufen gab.
    Die ganze Schule war gekommen, auch Anthony, der weit hinten saß. Unsere Blicke trafen sich, und er nickte. Ich lächelte und sah rasch ins Publikum, wo der Geräuschpegel immer größer wurde, ein hysterischer Feuerkessel, jetzt, wo das Schulhalbjahr zu Ende ging und mit diesem Abend auf seinen Höhepunkt zusteuerte. Giselle saß mit ihren Freundinnen auf der anderen Seite des Saals. Margaret hatte mir erzählt, dass die beiden nicht mehr zusammen wären. Sie verriet mir nicht, warum Anthony mir aus dem Weg ging, sondern sagte nur, dass er mit allen möglichen anderen Mädchen ausging und bescheuertwar, mich nicht zu fragen. Jungs wären manchmal Idioten, sagte sie. Das blonde Mädchen, das mich gemobbt hatte, saß neben Anthony. Sie war seine Schwester, darum ließ sie mich seit dem Tag, an dem er mich nach

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