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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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wären sie immer schon ein Teil von ihm gewesen, und die Tür ließ sich geräuschlos öffnen. Der Junge konnte seinen Stolz nicht verhehlen, während der Alte einfach bloß dankbar war, helfen zu können.
    Verglichen mit den Verhältnissen im Bus war der ihm zur Verfügung stehende Platz nun ziemlich eingeschränkt. Da den Zuschauern vor und nach der Partie das Innere des Automaten gezeigt werden sollte, musste sich der Junge hinter einem eigens dafür vorgesehenen Vorhang verkriechen. Zwar tüftelte der Puppenbauer ein platzsparendes Getriebe aus, aber das Versteck war trotzdem winzig.
    »Ist der Schachtisch des Hausmeisters nicht doch ein bisschen zu klein für Sie?« fragte der Generalsekretär besorgt.
    »Nein, das ist kein Problem«, erwiderte der Junge.
    Er hob die Schultern und zog den Bauch ein, bevor er hinter den Vorhang schlüpfte. Dort krümmte er sich extrem zusammen, wobei er seinen Kopf zwischen die Knie klemmte.
    »Hier, schauen Sie, so geht es.«
    Der Generalsekretär und der Puppenbauer trauten zunächst ihren Augen nicht, klatschten dann aber voller Begeisterung. Als der Junge sich an die Holzwand schmiegte, dachte er an Miira, die unter ähnlichen Bedingungen leben musste.
    Das Gesicht der Puppe war dem von Alexander Aljechin nachempfunden, dem jungen Aljechin, aus der Zeit, als er mit einem Sieg gegen den Kubaner José Raúl Capablanca den Weltmeistertitel errang. Das Haar zurückgekämmt, im maßgeschneiderten Anzug. Die Puppe hatte sogar die gleichen Manschettenknöpfe wie ihr Vorbild. Der Kopf war aus Zypressenholz gefertigt, der Torso aus Kirschbaum und die Hand, welche die Figuren bewegte, aus feinem Quittenholz. Die farbigen Glasaugen waren starr auf das Brett gerichtet, aber tief in ihrem Inneren schimmerte ein warmes Licht, als schauten sie verzückt in die Ferne. Im rechten Arm hielt die Puppe eine Katze. Es war eine schwarz-weiß gefleckte, klug aussehende Katze, die mit gespitzten Ohren der Sinfonie lauschte, die auf dem Schachbrett gespielt wurde. Es war eine weitere Bedingung des Jungen gewesen, dass die Katze aussehen sollte wie Pawn.
    Wohin mochte der Kater wohl verschwunden sein? Diese Frage kam ihm erneut in den Sinn, als er die Holzkatze zum ersten Mal sah. Pawn war nach seiner Totenwache beim Meister nur mit knapper Not aus dem zerstörten Bus entkommen, und doch war es ein würdevoller Abgang gewesen, als hätte er eingesehen, dass seine Aufgabe endlich erfüllt war. Wieso hatte er Pawn nicht helfen können? Unwillkürlich streckte er seine Hand nach dem Buckel der Katze aus, die noch nach unbehandeltem Holz roch.
    »Verzeih mir«, flüsterte er.
    Die Puppe trug selbstverständlich den Namen »Kleiner Aljechin«. Der Mechanismus in ihrem Inneren war weitaus komplizierter, als der Junge zunächst angenommen hatte. Über eine Unmenge von Zahnrädchen und Federn aus Walrosshaaren, die ineinandergriffen oder sich gegenseitig abstießen, übertrug sich die Dynamik auf die Arme und kontrollierte deren Bewegungen bis in die Spitze des kleinen Fingers. Als er das erste Mal in den Kasten kroch, verschlug ihm der prachtvolle Anblick der Apparatur fast den Atem. In jedem Detail spiegelte sich die Feinheit, Eleganz und Dynamik von Aljechins Genie wider. Es genügte, den Bedienungshebel ganz sachte zu berühren, um das hoch komplizierte Getriebe in Gang zu setzen, was wiederum die Dunkelheit im Kasten in Schwingung versetzte. Der Junge spürte, dass alle Mühe, die es ihn kostete, sich in den Automaten zu zwängen, sich lohnen würde. Wie der bescheidene, unscheinbare Eröffnungszug einer Partie, der sich in eine gefährliche Waffe verwandeln konnte.
    Verzückt und äußerst vorsichtig, um auf keinen Fall etwas zu beschädigen, berührte der Junge die Apparatur. Doch so ausgefeilt die Mechanik auch sein mochte, letztlich lag es an ihm, die Puppe zum Leben zu erwecken. Der Hebel, den er zu bedienen hatte, verzweigte sich an der Spitze in einer Art Dreizack, der über eine hölzerne Nockenwelle durch den linken Arm mit der Hand aus Quittenholz verbunden war. Durch Öffnen und Schließen der drei Zinken konnte die Hand der Puppe nach den Figuren greifen und auf das gewünschte Feld verschieben. Nur, sich diese Technik anzueignen war schwieriger als das Erlernen der Schachregeln selbst. Da er das Spielbrett nicht vor Augen hatte, wusste der Junge zunächst nicht, mit wie viel Kraft er den Hebel bewegen musste, damit die Puppe mit einer Figur von g1 nach f3 zog, von d5 nach h5 oder von e6 nach

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