Schwimmen mit Elefanten - Roman
zwei dürre Krallen und die gleichen schwarzen Augen wie das Mädchen – der Rest war in makellosem Weiß. Selbst wenn sich das Mädchen verneigte oder den Kopf zur Seite drehte, bewegte sich die Taube nicht. Ohne einen Laut von sich zu geben, starrte sie mit eingezogenen Flügeln vor sich hin.
Das Mädchen war die Tochter eines Zauberkünstlers, der früher im Pazifik-Hotel gearbeitet hatte. Sie war als seine Assistentin aufgetreten, doch seit dem tödlichen Unfall ihres Vaters arbeitete sie im Klub am Grunde des Meeres. Sie war vom Bankettsaal in der obersten Etage des Hotels ins Untergeschoss versetzt worden. Ihr Vater hatte sich bei einem Teleportationsversuch stranguliert. Er war mit seiner Fliege im Getriebe einer im Fußboden versenkbaren Gondel hängen geblieben. Das Mädchen und der Vogel, den es von seinem Vater geerbt hatte, wurden ein unzertrennliches Paar. Die eigens für Zaubertricks gezüchtete Taube war nur halb so klein wie ihre Artgenossen, damit sie sich auf dem Boden eines Zylinderhuts verstecken konnte.
Der Junge bewunderte dieses seltsame Gespann. Beide hatten die ungewöhnliche Gabe, sich an einem Ort aufzuhalten, ohne dass die Anwesenden davon überhaupt Notiz nahmen. Was ihrer zukünftigen Aufgabe sehr zupasskam.
Fortan studierte der Junge mit ihnen zusammen die Bedienung des Schachautomaten ein. Nach Mitternacht zogen sie sich in die ehemalige Damendusche zurück, wo sie verschiedene Methoden ausprobierten, wie man am besten die Hand der Puppe bewegen konnte, um danach blitzschnell die Figuren des Gegners vom Brett zu entfernen. So als wären sie eine harmonische Einheit.
»Noch ein wenig nach rechts. Noch ein bisschen. Oh, jetzt hast du beinahe den Läufer umgestoßen. Du musst vorsichtig sein!«
Wenn er sich im dunklen Innenraum des Automaten, in den nur durch den Türspalt ein schwacher Lichtstrahl drang, zusammenkrümmte und beim Hantieren des Hebels ihrer Stimme lauschte, hatte er das gleiche behagliche Gefühl wie in seinem Alkoven kurz vor dem Einschlafen. Vor allem aber war er froh, dass er Miira aus ihrem Mauerspalt hatte befreien können. Wie töricht doch seine Bedenken gewesen waren, dass eine dritte Person ihre Finger im Spiel haben würde.
Ihre Stimme besaß einen so anmutigen, sanften und geheimnisvollen Klang, als gehörte sie einem überirdischen Wesen. Eine Stimme, die sich für jemanden, der jahrelang zwischen zwei Häusern eingezwängt war, geziemte. Zuweilen bildete sich der Junge ein, es sei die Taube, die eben zu ihm gesprochen hatte, und er verspürte den Wunsch, unter dem Tisch hervorzukriechen, um nachzuschauen. Aber dann war seine Konzentration gestört und er vertat sich bei der Bedienung der Puppe.
»Es geht offenbar besser, wenn man die Figuren von oben mit der Hand ergreift. Ja, ungefähr so. Du brauchst sie gar nicht so stark zu verschieben. Es reicht ein Wink mit den Fingerspitzen, damit ich weiß, welche Figur die Puppe schlagen möchte.«
Ihre Anweisungen waren sehr präzise. Mit der Zeit lernte der Junge, die Geräusche, die er auf den Feldern vernahm, mit der Bewegung des Hebels zu koordinieren. Er spürte genau, welche Handbewegung der Automat ausführte und was das Mädchen daraufhin tat. In dem Moment, wo er die Figur in einer fließenden Bewegung auf das gewünschte Feld verschieben konnte, war es, als ertöne auf dem Grund des Meeres ein vielstimmiger Akkord.
Vor lauter Freude drückte der Junge dann sachte den Knopf neben dem Hebel, aber er wusste nie, ob das Mädchen das Blinzeln der Puppe bemerkte.
»Darf ich dich Miira nennen?« fragte der Junge eines Tages, nachdem sie ihre Übungen beendet hatten.
Das Mädchen dachte kurz nach und sagte dann: »Dafür wird es wohl einen Grund geben.«
In der ehemaligen Damendusche war es für gewöhnlich sehr kalt. Die Kälte drang durch die gesprungenen Fliesen und verteilte sich dann im ganzen Raum. Die Trennwände, Vorhänge und Seifenhalter in den Kabinen waren entfernt worden, es gab bloß noch die Reihe von Wasserdüsen an der Wand, die allesamt aussahen wie herunterhängende Köpfe. Im Abfluss lagen längst vertrocknete Haare.
Die Puppe stand mitten im Raum. Immer wenn sie ihr Tagespensum absolviert hatte, lag ihre linke Hand in ihrem Schoß. Dann sah es aus, als ruhte sie sich aus. Der Junge saß neben dem Mädchen auf einem der weißen Plastikstühle, die aus der Zeit zu stammen schienen, als der Hotelpool noch in Betrieb war. Sie waren allein, und vom fortwährenden Trubel im
Weitere Kostenlose Bücher