Schwimmen mit Elefanten - Roman
Pazifik-Klub war hier nichts zu hören.
»Nun gut, einverstanden«, sagte sie.
Die Taube auf ihrer Schulter zuckte mit den Augen und blickte den Jungen an. Aber wie sehr er sich auch reckte, sein Blickfeld reichte nur bis zum Hals des Mädchens.
»Danke«, sagte der Junge, wobei er das unheimliche Gefühl hatte, eigentlich mit der Taube zu sprechen.
»In der Zeit, als ich mit meinem Vater gearbeitet habe, habe ich alle möglichen Namen bekommen, aber ›Miira‹ hat mich noch niemand genannt. Es klingt einzigartig. Als wäre ich aus einem tausendjährigen Schlaf erwacht.«
Sie lachte, sprang vom Stuhl auf und reckte sich. Die Taube drohte dabei von ihrer Schulter zu fallen. Doch sie krallte sich an Miiras Schlüsselbein fest. Zu dieser Stunde stieg draußen bereits der Morgennebel vom Kanal auf.
Der erste Gegner für den Kleinen Aljechin war die Tochter des Vorsitzenden. Als Mäzenin des Klubs, die den Schachautomaten gestiftet hatte, war sie die beste Wahl für diese denkwürdige Premiere.
Am Tag des Eröffnungsspiels wurden in dem umfunktionierten Duschraum die Plastikstühle um die Puppe herumgestellt und in einer Ecke des Raumes Schokolade und Kaffee serviert.
Auf dem runden Tischchen neben dem Schachbrett stand die Schachuhr, daneben lag das Notationsblatt. Die Glasaugen der Puppe waren weit geöffnet und starrten abwesend in den Raum.
Schon vor der offiziellen Öffnungszeit um ein Uhr morgens trafen die ersten Zuschauer ein. Von der eleganten Atmosphäre des Pazifik-Schachklubs war hier unten nichts zu spüren. Es war eben nur ein Duschraum, die Schokolade war eine sehr billige Sorte und der Kaffee ein Instantgebräu. Die Zuschauer kamen verstohlen die Treppe herunter, als wären sie darauf bedacht, keine Spuren zu hinterlassen. Niemand tauschte Blicke aus oder sprach ein Wort. In dem Duschraum herrschte absolute Stille, so wie es sich für einen Klub am Grunde des Meeres gehörte.
Der Junge war frühzeitig, schon lange bevor die ersten Gäste eintrafen, in den Automaten gekrochen, um sich auf die Partie vorzubereiten. Er entspannte seine Glieder und versuchte, den Duft der Schokolade, der den Raum erfüllte und ihn an den Meister erinnerte, zu ignorieren. Er nahm prüfend jede einzelne Figur in die Hand und flüsterte: »Indira, steh mir bei!«
Er dachte sich, wenn er schon nicht die Figuren direkt berührte, könnte er sich wenigstens mithilfe des Hebels ihr Gewicht einprägen, um so eine Verbindung zu seinem Gegner zu schaffen. In der Dunkelheit vor seinen Augen tauchte das Bild des Meisters auf, und die Nerven des Jungen beruhigten sich.
»Keine Sorge, ich bin bei dir«, hatte ihm Miira ins Ohr geflüstert, als er in die Puppe gekrochen war. Und jetzt konnte er deutlich die Stimme seines Meisters hören.
»Nicht so hastig, mein Junge!«
»Haben Sie Ihre Plätze eingenommen, meine Herrschaften? Dann können wir beginnen.«
Die theatralisch anmutende Stimme des Generalsekretärs hallte durch den Raum. Dann folgten langatmige Erklärungen über die Herkunft des Schachautomaten und den Ablauf der bevorstehenden Partie. Miira und der Junge hatten sich mit dem Generalsekretär beraten, wie man am besten die Spannung aufbauen konnte. Dabei machten sich ihre Erfahrungen als Assistentin ihres Vaters bezahlt. Und doch musste sie die unauffälligste Erscheinung im Raum sein, denn die Zuschauer sollten unbedingt das Gefühl haben, hier sei tatsächlich eine Maschine am Werk und niemand anders.
»Dann wollen wir uns zunächst davon überzeugen, dass es sich hier um einen echten Automaten handelt«, sagte der Generalsekretär und schob die Puppe mitsamt dem Schachtisch ein wenig nach hinten. Dies war für den Jungen das Signal, hinter den schwarzen Vorhang zu schlüpfen. Er war inzwischen geübt darin, seine Glieder zu verbiegen und den Atem anzuhalten, damit der Vorhang sich nicht bewegte.
Beim Öffnen der Klappe fiel zwar grelles Licht ins Innere, aber da er die Augen geschlossen hielt, blieb er ruhig. Trotz der Schmerzen, die ihm seine Position bereitete, hatte er ein Ohr dafür, wie die Zuschauer den Mechanismus im Inneren des Automaten bewunderten. Und er erkannte unter den schemenhaften Umrissen, die sich hinter dem Vorhang abzeichneten, die zarte Silhouette von Miira.
»Verzeihung, wenn ich Sie bitten dürfte, nichts zu berühren …« Immer wieder musste der Generalsekretär die Zuschauer ermahnen, die Apparatur nicht anzufassen.
»Und wenn Sie bitte nicht die Katze streicheln würden!«
Alle
Weitere Kostenlose Bücher