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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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über den gefliesten Boden, als der Mann den Raum betrat. Bevor er sich an den Schachtisch setzte, stürzte der Eindringling ein Glas Whisky hinunter. Der Junge konnte das Klirren der Eiswürfel deutlich hören. Der Mann schien betrunken zu sein.
    »Herzlich willkommen. Vor der Partie möchte ich Sie darauf hinweisen, dass …«
    »Hör auf zu quatschen, Schätzchen. Lass uns anfangen«, dröhnte der Mann und winkte ab, als Miira wie üblich die Klappe öffnen wollte, um das Innenleben des Kleinen Aljechin zu zeigen. Es war das erste Mal, dass ein Gegner nichts davon wissen wollte.
    Der Mann spielte ausgesprochen gut, er war zweifellos der stärkste Spieler, gegen den der Junge jemals angetreten war. Die Art, wie er nach einer präzisen Eröffnung ein fulminantes Mittelspiel aufzog, erinnerte den Jungen an die berühmten Großmeister aus dem Buch, das er sich damals von seinem Meister geliehen hatte. Es war wie eine Drohung, die dem Gegner das Fürchten lehrte. In welche Höhen er sich noch aufschwingen würde, wenn es nötig war. Verteidigung und Angriff, Rückzug und Vormarsch, Eingebung und Logik, Sorgfalt und ungestüme Gewalt, Toleranz und Zurückweisung, Ausdauer und Einfallsreichtum – all diese widersprüchlichen Aspekte vereinte er in seinem harmonischen, ungeheuer kraftvollen Spiel, mit dem er seinen Gegner permanent unter Druck setzte. Der Kleine Aljechin war wie gelähmt.
    Jedoch hinterließen die Züge des Mannes jedes Mal einen bitteren Nachgeschmack. Als wäre es völlig aussichtslos, überhaupt gegen ihn gewinnen zu können. Zuerst hielt der Kleine Aljechin das für eine Einbildung, aber dann, als der Mann mit Zügen wie Td8 oder Lf6 eine Linie zog, die dem Strahlenbündel eines Suchscheinwerfers glich, und gleichzeitig im Zentrum eine Art Festung errichtete, bestätigte sich sein anfänglicher Eindruck. Ungeachtet seiner grandiosen Züge wirkte der Mann unzufrieden. Nach jedem Zug nahm er einen Schluck Whisky und drosch mit der geschlagenen Figur auf den Knopf der Schachuhr. Seine Gereiztheit hatte nichts Oberflächliches, sondern schien aus seinem tiefsten Inneren zu kommen. Normalerweise wurden solch wundervolle Züge mit einem göttlichen Lächeln belohnt. Dem Mann war dies nicht beschieden.
    Vielleicht war der Regen schuld daran, dass die Bodenfliesen sich viel feuchter anfühlten als sonst. Auch die Zahnrädchen und der Hebel setzten sich nur schwerfällig in Bewegung, sogar das Zusammenspiel mit Miira stockte. Nur die Taube zeigte nicht die leiseste Regung von Nervosität und verhielt sich ruhig wie immer. Für den Kleinen Aljechin gab es keine Möglichkeit, dieser furchtbaren Partie zu entkommen. Er hatte die Pflicht, eine Notation zu hinterlassen, die der Spielstärke des Mannes gerecht wurde.
    Als würde er durch ein Mikroskop blicken, suchte der Junge einen wunden Punkt, um dem Spiel eine Wendung zu geben. Falls die Festung seines Gegners eine solche Schwachstelle aufwies, konnte daraus ein Riss in der Mauer werden, den man attackieren konnte. Der Kleine Aljechin versuchte das Unmögliche möglich zu machen. Doch während er den Kanonenkugeln auszuweichen versuchte, die aus der Festung seines Gegners abgefeuert wurden, tappte er in eine Falle und verlor seinen kostbaren Läufer.
    Der Junge holte tief Luft. Vielleicht sollte er Nachsicht zeigen und alle Attacken seines Gegners akzeptieren? Aber das war auch keine Lösung, denn das Licht seiner hehren Absichten gelangte nirgendwohin. Er konnte mit seinen Figuren weder vor noch zurück, während die gegnerische Dame seine Verteidigungslinie in tausend Stücke riss. Die Figuren des Mannes flogen ohne den geringsten Anflug von Anerkennung über das Brett und hinterließen in jedem Winkel tiefe Wunden.
    Als die beiden Kontrahenten auf das Endspiel zusteuerten, wurden die Attacken des Mannes immer erbarmungsloser. Er knallte seine Figuren derart rabiat auf die Felder, als wollte er das Brett zerschlagen. Um dem rasenden Tempo des Mannes Einhalt zu gebieten, notierte Miira die Spielzüge noch akribischer als sonst und ließ sich beim Entfernen der Figuren, die sie auf dem Beistelltisch aufreihte, besonders viel Zeit. Gemeinsam versuchten Miira, die Taube und der Kleine Aljechin diesem furchterregenden Gegner die Stirn zu bieten.
    Der Mann scharrte mit den Schuhen auf dem Boden und rülpste laut, bevor er sich einen weiteren Whisky genehmigte.
    Bald schon war die Lage für den Kleinen Aljechin so aussichtslos, dass er beschloss, seine Niederlage

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