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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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einzugestehen. Langsam griff die Hand aus Quittenholz nach dem eigenen König und legte ihn auf das Brett.
    Für einen Moment herrschte Stille, und als die Puppe den Arm hob, um dem Sieger zu gratulieren, stand der Mann so abrupt auf, dass der Stuhl fast umkippte.
    »Lächerlich!« grunzte er und verzog dabei so angewidert das Gesicht, als hätte man ihn gezwungen, Schmutzwasser trinken. Er schien sich keineswegs über den errungenen Sieg zu freuen. Mittlerweile war er so betrunken, dass er sich kaum aufrecht halten konnte. Hinter dem Tisch wartete der Kleine Aljechin, der mit ausgestreckter Hand seinem Gegner gratulieren wollte.
    »Herzlichen Glückwunsch. Siebenundzwanzig Züge, Schwarz führte mit …«
    »Zum Teufel damit!«
    Der Mann fiel Miira abermals ins Wort und spuckte auf den Boden.
    In dem Augenblick wurde die Puppe durch einen seltsamen Stoß erschüttert. Die Zahnräder knirschten, und den Kleinen Aljechin durchfuhr ein Schmerz, von dem er nicht sicher war, woher er kam. Der Junge hörte, wie draußen auf dem Brett die Schachfiguren umfielen und das Whiskyglas des Mannes zerbrach. Dann schrie Miira laut auf.
    Im Nu war der Junge aus der Puppe gekrochen. Während er sich nach Miira umschaute, musste er seine Augen mit den Händen beschirmen, weil ihn das Licht so blendete.
    Miira kauerte in einer Ecke. Plötzlich wirkte sie genauso klein wie der Junge. Auf ihren ängstlich hochgezogenen Schultern saß die Taube, unerschütterlich wie immer. Der Junge ging vor Miira in die Knie und nahm sie fest in die Arme.
    »Ist alles in Ordnung?«
    Miira nickte, biss sich dabei aber so fest auf die Lippen, dass sie anfingen zu bluten.
    »Hat er dir etwas getan?«
    »Nein.«
    Ihre Stimme klang heiser.
    Der Mann hatte alles umgeworfen, die Figuren, sein Glas, die Schachuhr. Sein Kopf lag auf dem Tisch, mit dem Gesicht nach unten. Er war bewusstlos, Speichel lief ihm aus dem Mund. Vielleicht war er auch nur eingeschlafen. Aber was machte das für einen Unterschied? Er war groß und hatte breite Schultern. Seine vom Tisch herunterbaumelnde Hand war riesig. Alles in allem machte er einen ziemlich verwahrlosten Eindruck: seine Schuhe waren ausgetreten, der Anzug voller Flecken, die Manschetten ausgefranst. Über Miiras sorgfältig angefertigte Notation hatte er Whisky verschüttet. Nichts war mehr übrig von dem Zauber, den seine Figuren noch ein paar Minuten vorher auf dem Schachbrett verbreitet hatten.
    Aber erst als der Blick des Jungen auf die Puppe fiel, wurde ihm das Ausmaß der Katastrophe bewusst. Der Kleine Aljechin hatte sich das Genick gebrochen.
    Der Kopf der Puppe war am Halsansatz abgeknickt und hing nun vornüber, gehalten von den Darmsaiten, die das Getriebe im Inneren mit den einzelnen Gliedern verbanden. Außerdem war ihr Haar zerzaust, die Krawatte hing schief, und der linke Unterarm war total verrenkt. Sogar Pawn fehlte ein Ohr. Es war abgerissen und irgendwo hingeworfen worden. Obwohl sie später überall danach suchten, blieb es merkwürdigerweise verschwunden. Blut tropfte von der rechten Hand des Mannes und bildete eine rote Lache auf den Fliesen.
    »Wie hat der Kerl die Puppe bloß zugerichtet«, murmelte der Junge und dachte an den seltsamen Schmerz, den er im Inneren der Puppe gespürt hatte. Doch sosehr er sich auch mühte, er fand keine Erklärung für das Verhalten des Mannes.
    »Hätte ich ihn doch nur aufgehalten«, schluchzte Miira.
    »Ach, das wäre viel zu gefährlich gewesen.«
    »Aber wenigstens den Whisky hätte ich ihm wegnehmen sollen.«
    »Es war nicht deine Schuld. Es lag an mir. Er mochte meine Art zu spielen nicht.«
    »Nein, du hast auch heute wieder großartig gespielt.«
    Für den Jungen war es eine wundersame Erfahrung, Miira in den Armen zu halten und sie zu trösten. Normalerweise war er es ja, der sich verkroch, sei es in seinem Alkoven, unter dem Schachtisch oder in dem Schachautomaten. Miiras glattes, zu Zöpfen geflochtenes Haar streifte seine Lippen, und er spürte, wie eine zärtliche Wärme in ihm aufstieg. Die Taube gurrte leise.
    »Was ist passiert?«
    Der Generalsekretär kam auf sie zugeeilt.
    »Was haben Sie bloß angestellt?« rief er fassungslos und blickte auf Miira und den Jungen herunter, die immer noch in der Ecke saßen.
    Der einzige Laut, den man im Raum hören konnte, war das Schnarchen des Mannes.
    »Hier sieht es ja furchtbar aus!« Der Generalsekretär verzog angewidert das Gesicht, als er das Durcheinander auf dem Schachbrett erblickte. Man konnte

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