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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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Schachtisch, dem Kater und dem ausrangierten Bus berichtet. Er hätte auch gern gewusst, welchen Lehrer sie selbst gehabt hatte. Aber seine stummen Fragen blieben unbeantwortet. Statt sie in Worte zu fassen, schlug er mit dem Turm ihren Bauern auf a3. Miiras Kleid raschelte.
    »Aha. Ein imposanter Zug«, murmelte die alte Dame.
    Der Junge schaute auf seine Finger. Zwar konnte er in der Dunkelheit nichts erkennen, er erinnerte sich aber an den Augenblick, als der Meister ihn zum ersten Mal seine Figuren hatte berühren lassen. Sanft drückte er seine Fingerkuppen aneinander.
    Niemand störte die perfekte Harmonie, die zwischen Miira, der Taube und dem Kleinen Aljechin herrschte. In der ehemaligen Damendusche hatten die drei nichts zu befürchten. Selbst der Generalsekretär gab ihnen keine unnötigen Anweisungen mehr. Die Zuschauer nahmen weder von Miira Notiz noch von der Taube, die still auf ihrer Schulter hockte. Es schien, als wären die beiden eins mit den Wandfliesen hinter ihnen.
    »Bitte berühren Sie die Puppe nicht.«
    Diese Anordnung des Generalsekretärs hatte sich Miira zu eigen gemacht. Sie tat es nicht gern, aber manchmal war sie gezwungen, ihre Zurückhaltung aufzugeben. Die Zuschauer zogen dann erschrocken die Hände zurück und betrachteten schüchtern die Puppe, als hätte diese selbst die Worte ausgesprochen.
    Der Junge hörte diese Ermahnung gern. Sie gab ihm das Gefühl, Miira wollte ihn für sich allein haben, niemand anders durfte ihn berühren. Trotz aller Warnungen gab es immer wieder Besucher, die die Puppe dennoch anfassen wollten. Die glatte Maserung von Gesicht und Händen, der aus exquisitem Stoff geschneiderte Anzug, der Katzenbuckel von Pawn, der in der rechten Armbeuge kauerte – überall fanden sich Stellen, die man gern berührt hätte. Was dazu führte, dass sich der Junge einbildete, Miira würde ihm unentwegt Liebeserklärungen machen.
    Nach der Arbeit geleitete der Junge Miira und die Taube zum Wohntrakt des Hotelpersonals. Wenn sie die Wendeltreppe zum Heizungsraum hinaufstiegen und aus dem Hintereingang ins Freie traten, lag bereits der erste Morgennebel in der nächtlichen Dunkelheit. Das Wohnheim lag etwas abseits am Ende der Promenade, die durch den öffentlichen Park gleich hinter dem Pazifik-Hotel führte.
    Der Park war nicht besonders gepflegt, es gab lediglich ein paar Sträucher, die vor sich hin wucherten, und ein kleiner Bach plätscherte durch das Gelände. Verkehrslärm war noch nicht zu hören, als sie zu dritt die menschenleere Promenade entlanggingen.
    »Ich frage mich, wieso sich die Notationen nie wiederholen, obwohl du tagaus, tagein nur Schach spielst? Die Anzahl der Figuren und der Felder auf dem Brett ist doch begrenzt«, sagte Miira.
    Der Junge ging stets links neben ihr, auf der Seite, wo auch die Taube hockte. Wenn sie aus dem Hotel traten, verschwamm Miiras Silhouette derart, dass er befürchtete, sie könnte im Zwielicht zwischen Nacht und Morgen lautlos aufgesogen werden. Nur das Weiß der Taube schimmerte hell. Da der Junge bedeutend kleiner war als Miira, konnte er, wenn sie miteinander sprachen, nie in ihre Augen sehen. Oft hatte er das Gefühl, dass er mit der Taube redete, nicht mit Miira.
    »Tja, dafür kann ich nichts. Die Zahl der möglichen Spielverläufe beträgt 10 123 . Man sagt, das sei mehr als die Anzahl von Partikeln, aus denen das Universum besteht.«
    »Oh, so viel?« staunte Miira und schaute zum Himmel empor. Über den Baumwipfeln blinkten noch einige Sterne.
    »Dann ist Schachspielen in etwa so, als würde man von Stern zu Stern reisen, oder?«
    »Stimmt genau. Auf der Erde gäbe es nicht genug Platz dafür, also muss man ins All fliegen.«
    »Mit einem Raumschiff namens Kleiner Aljechin.«
    Miira wandte sich zu ihm um und lächelte schüchtern. Die schwindende Nacht, die sich hinter den Bäumen verkroch, verschluckte ihre Schritte, als sie durchs Unterholz stapften. Mit Rücksicht auf seine schmerzenden Knie ging Miira nur sehr langsam. Eigentlich taten dem Jungen die Glieder gar nicht mehr weh, nachdem Miira sie auf dem Fliesenboden massiert hatte. Aber er ließ sich absichtlich Zeit, um so lange wie möglich mit ihr reden zu können.
    »Ich bin niemals irgendwohin gereist, nur auf dem Schachbrett.«
    »Wie? Du hast noch nie die Stadt verlassen?«
    »Nein. Die längste Strecke, die ich je zurückgelegt habe, ist eine Busfahrt von mir zu Hause ins Stadtzentrum. Ich habe auch noch nie in einem fremden Bett geschlafen.«
    »Oh,

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