Schwimmen mit Elefanten - Roman
sehen, dass er Angst hatte, seine Uniform schmutzig zu machen.
Plötzlich entdeckte der Junge eine Glasmurmel, die unter dem Stuhl des Mannes lag. Die Glühlampe an der Decke spiegelte sich darin und ließ die Kugel aufblitzen. Es war ein Auge des Kleinen Aljechin.
»Sie sind beide schuld an diesem Schlamassel!«
Außer dem Gezeter des Generalsekretärs und dem Schnarchen des Betrunkenen war ansonsten hier unten kein Laut zu hören. Der Junge blinzelte ein paar Mal, um das Auge des Kleinen Aljechin deutlicher sehen zu können.
Abermals stellte die Tochter des Vorsitzenden ihre Großzügigkeit unter Beweis, denn sie ließ den Kleinen Aljechin von dem Puppenbauer reparieren. Glücklicherweise hatte das Herzstück, der Mechanismus im Inneren der Puppe, keinen Schaden genommen. Die Ausbesserungen betrafen nur äußere Stellen, aber es würde einige Monate dauern, um den Kleinen Aljechin wieder in seinen ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen.
Am Ende verlor der Generalsekretär kein einziges Wort über die Herkunft des Trunkenbolds. Der ließ sich auch nie wieder im Klub am Grunde des Meeres blicken, nachdem er huckepack hinausbefördert worden war. Nach seinen Schachkünsten zu urteilen, war er jedenfalls kein gewöhnlicher Zeitgenosse.
Weshalb nur hatte er sich derart aufgeführt, wenn er so gut Schach spielte? Diese Frage trieb den Jungen um. Wenn er betrunken auf diese grandiose Weise gewinnen konnte, wie würde er dann erst spielen, wenn er bei klarem Verstand war? Bei diesem Gedanken schlug dem Jungen vor Angst das Herz bis zum Hals.
Rätselhaft blieb auch, was den Gast ungeachtet seines Sieges derart wütend gemacht hatte. Wenn es daran gelegen haben mochte, dass der Schachautomat einfach zu schlecht spielte, wäre das für den Jungen nur schwer zu ertragen gewesen, denn dann wäre es seine Schuld gewesen, dass Miira zu Tode erschreckt worden war. Er hätte sich gerne bei ihr entschuldigt, wenn er nur gewusst hätte, welche Worte angebracht gewesen wären. Sobald er mit ihr über den Abend sprechen wollte, wechselte sie sofort das Thema. Sie sollten den Mann am besten sofort vergessen. Und so tun, als sei nichts geschehen.
Obwohl der Mann nie wieder gesehen wurde, war die unheilvolle Stimmung, die mit seinen schlurfenden Schritten aufgekommen war, keinesfalls verschwunden.
Auch wenn der Kleine Aljechin wieder repariert werden konnte, es würde nichts mehr so sein, wie es vor jener Nacht gewesen war. Diese böse Vorahnung erfasste Miira und den Jungen wie der Moder, der sich allmählich über die Fliesen des Schwimmbades ausbreitete.
Bis die Puppe wiederhergestellt war, wurde den beiden eine andere Aufgabe zugeteilt: Lebendschach.
»Dabei nehmen Menschen den Platz von Figuren ein«, erklärte ihnen der Generalsekretär. »Auf den Boden des ehemaligen Schwimmbeckens wird ein Schachmuster gemalt. Mit exakt acht mal acht Feldern, schwarz und weiß. Das wird als Spielfeld dienen. Es gibt zwei Mannschaften mit je sechzehn Figuren, insgesamt also zweiunddreißig Personen, vom König bis hin zu den Bauern, die sich von Feld zu Feld bewegen.«
»Laufen sie, wohin sie wollen?«
Der Generalsekretär schüttelte fassungslos den Kopf.
»Aber nein. Eine Figur bleibt eine Figur, auch wenn sie von einem Menschen verkörpert wird. Es wäre ja wohl kein Schach, wenn die Figuren plötzlich wild durcheinanderlaufen. Die beiden Spieler befinden sich derweil im Regieraum. Von dort können sie das Spielfeld überblicken und über ein Mikrofon Anweisungen geben. Jede Figur wird sich dementsprechend bewegen. Wir haben es schließlich nicht bloß mit Menschen zu tun, sondern mit menschlichen Figuren, deren Bewegungsradius von vornherein festgeschrieben ist. Einem Befehl zuwiderzuhandeln ist strikt untersagt. Ganz gleich, wie schlecht der Zug durchdacht ist.«
»Und was soll ich dabei tun?«
»Natürlich gegen unsere Mitglieder antreten.«
»Ich manövriere also menschliche Figuren?«
»Genau. Aber da die Mitglieder Sie nicht sehen dürfen, werden Sie sich in der Abstellkammer verbergen. Von dort können Sie auch Ihre Anweisungen geben. Um Ihre Identität nicht preiszugeben, wird vorsichtshalber ein Stimmenverzerrer an Ihrem Mikrofon installiert. Sicher ist sicher. Von der Abstellkammer aus ist das Spielfeld natürlich nicht zu sehen, aber das stört Sie ja nicht. Es ist durchaus eine geräumige Kammer. Alles ist viel bequemer als in der Puppe. Es wird also keine besonders schwierige Umstellung sein. Zuerst haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher