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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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bringen.
    »Springer auf f5. Schach.«
    Das aufdringliche Keckern des Papageis klang viel zu schrill angesichts der ausweglosen Situation, in der sich der Gegner befand.
    »Ich habe verloren.«
    Das Brüllen des Tigers bewahrte trotz der Niederlage seine majestätische Würde.
    Der schwarze König stürzte. Noch lange lag er auf dem kalten Boden des Beckens.

11
    Der Schnee zur Premiere des Lebendschachs schmolz noch am selben Abend. Danach herrschte zwei Tage lang ein Unwetter, das Straßenbäume umriss, das Wasser im Kanal aufpeitschte und die dort ankernden Boote beinahe zum Kentern brachte. Am dritten Tag legte sich der Sturm, und ein klarer, wolkenloser Himmel wölbte sich in aller Stille über der Stadt. Nun hielt der Winter Einzug. Ein strenger Winter, den nichts mehr aufhalten konnte.
    Die Großmutter zog sich eine Grippe zu und lag tagelang mit hohem Fieber im Bett. Wenn der Junge früh in der Morgendämmerung vom Klub am Grunde des Meeres nach Hause kam, wartete nun niemand auf ihn. Auf dem Esstisch fand er lediglich die beiden Tassen von seinem Großvater und seinem Bruder vor, mit einem letzten Rest kalten Kaffees. Sein Bruder hatte nach seinem Schulabschluss angefangen, das Schreinerhandwerk zu erlernen. Jeden Morgen konnte der Junge die beiden in der Werkstatt arbeiten hören, während seine Großmutter im oberen Stockwerk ununterbrochen hustete.
    Bevor er in den Alkoven schlüpfte, schaute er bei ihr im Schlafzimmer vorbei und massierte sie eine Weile.
    »Du hast die ganze Nacht durchgearbeitet, leg dich doch hin«, krächzte seine Großmutter dann und mühte sich, ihm trotz ihrer Schmerzen ein Lächeln zu schenken.
    »Mach dir um mich keine Sorgen.«
    Er schob seinen Arm unter die Decke und strich ihr über den Rücken. Die Zeit, wo er zusammen mit seiner Großmutter das Kaufhaus besucht hatte, lag lange zurück, und auch wenn er seitdem nicht mehr gewachsen war, wusste er nur zu gut, dass sie nicht wiederkehren würde. Der Körper seiner Großmutter wirkte ausgezehrt. Ihre Hände und Füße hingegen waren stark angeschwollen und sahen dadurch ganz unförmig aus, was dem Jungen zu schaffen machte. Waren das noch die vertrauten Hände, die einst so sanft seine Lippen gestreichelt hatten? Oder die Füße, die unermüdlich in der Küche hin und her gelaufen waren? Nun waren sie fast doppelt so dick wie früher und so steif, dass sie sie nicht mehr bewegen konnte. Ihre faltige Haut war weiß wie Porzellan. Wenn er seine Hände darauflegte, fühlte es sich an wie ein weiches Kissen. Als hätten sich ihre Knochen und Muskeln längst aufgelöst.
    »Du hast die ganze Nacht hindurch Schach gespielt. Das ist doch anstrengend. Wenn du dich nicht ausruhst, macht dein Körper das irgendwann nicht mehr mit.«
    »Du brauchst dir um mich wirklich keine Sorgen zu machen.«
    »Aber es ist nun mal meine Aufgabe, mir um dich Sorgen zu machen.«
    Sie hielt sich ihr Tuch vor den Mund und hustete. Inzwischen hatte es so viel von den Absonderungen ihres Körpers aufgenommen, dass es fast ein Teil von ihr selbst war, den sie da in Händen hielt.
    »Ich würde dir so gern einmal zuschauen, wenn du spielst«, sagte sie.
    »Ruh dich jetzt aus. Wenn du schläfst, kann ich auch zu Bett gehen.«
    Der Junge hatte große Angst davor, dass seine Großmutter immer weiter anschwellen würde. Für ihn wäre es das Schlimmste, was passieren könnte. Quälende Bilder tauchten in seiner Erinnerung auf: Indiras eiserner Fußring, das aufgeschnittene Buswrack, der am Kran baumelnde Körper seines Meisters.
    Größerwerden ist eine Tragödie.
    Schmerzlich pochte diese Gewissheit wie ein Pulsschlag in seiner Brust.
    Bevor der Kleine Aljechin wieder in den Klub am Grunde des Meeres zurückkehrte, wurde er in die Werkstatt des Großvaters gebracht, damit der Schachtisch austariert werden konnte. Die Bruchstelle am Hals war nun mit dem Hemdkragen bedeckt, die herausgefallene Glaskugel steckte wieder in der Augenhöhle, der ausgerenkte Arm war hergerichtet und das zerzauste Haar frisiert. Aber die Puppe wirkte immer noch seltsam derangiert. Vielleicht lag es daran, dass fernab von ihrer vertrauten Umgebung an ihr herumhantiert worden war. Oder aber sie hatte sich immer noch nicht von dem Schock erholt, einer Gewalttat zum Opfer gefallen zu sein.
    Mit Pawn verhielt es sich ähnlich. Das abgebrochene Ohr war ersetzt und die Bruchstelle mit Klebstoff und Holzkitt kaschiert worden. Doch dem Jungen sprang diese frische Naht deutlich ins Auge, denn sie

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