Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
Vom Netzwerk:
erinnerte ihn an seine vernarbten Lippen.
    »Das wird schon wieder, Pawn«, sagte er dann und strich dem Kater über den Kopf. »Bald werden wir Schach spielen, dann darfst du erneut der Poesie von Aljechin lauschen.«
    Und so war es dann auch. Als der Junge in die Puppe kroch und probehalber die Figuren versetzte, waren der Kleine Aljechin und Pawn ganz die Alten. Die Glasmurmeln in der Augenhöhlen der Puppe funkelten, und Pawn spitzte aufmerksam die Ohren.
    Der Mechanismus funktionierte tadellos. Die Höhe und Ausrichtung des Schachtischs mussten leicht justiert werden, um ihn den minimalen Änderungen infolge der Reparatur anzupassen, aber das war für den Großvater ein Leichtes. Sein Enkel half ihm dabei, indem er ihm das Werkzeug reichte oder den Tisch festhielt. Seine Hosentaschen, in denen immer noch die Fähnchen steckten, die damals ihre Kinderteller zierten, waren nun prall gefüllt mit Schraubenziehern, Nägeln und Sandpapier.
    »Sag mal, wenn du seinen Arm zurückziehst, stößt er doch mit dem Ellbogen an die Tischkante. Kannst du den Hebel nicht ein bisschen verstellen? Ja, so ist es schon besser. Nun wollen wir mal sehen, wie du die Figuren diagonal bewegst.«
    Sein Bruder prüfte gewissenhaft, ob die Hand des Schachautomaten einwandfrei alle vierundsechzig Felder erreichte. Es war ungewohnt, nach so langer Zeit wieder in der engen Dunkelheit eingesperrt zu sein. Aber der Junge freute sich über den Respekt, der ihm von seinem Großvater und seinem Bruder entgegengebracht wurde. Die beiden behandelten die Puppe, als gehöre sie zur Familie.
    »So, das wäre geschafft«, sagte schließlich der Großvater. Sorgfältig bürstete er die Puppe ab, auf der noch Sägemehl klebte.
    So wurde der Kleine Aljechin wieder zum Leben erweckt.
    Bis der Schachautomat abermals zum Einsatz kam, ging der Junge auch an seinen dienstfreien Abenden, wenn keine Partie Lebendschach stattfand, in den Klub am Grunde des Meeres. Er tüftelte dann Schachprobleme für die Mitglieder aus oder erfand neue Ausgangsstellungen beim Random-Schach. Miira leistete ihm in der Damendusche Gesellschaft. Der Generalsekretär hatte ihr aufgetragen, die weißen und schwarzen Gewänder der Lebendschachfiguren auszubessern. Da die beiden wichtige Akteure bei den Veranstaltungen waren, war ihnen untersagt, sich unter die Mitglieder zu mischen. Insofern blieb ihnen keine andere Wahl, als sich in die ehemalige Dusche zurückzuziehen.
    »Wieso musst du eigentlich jedes Mal die Umhänge reparieren?« fragte der Junge und schaute von seinem tragbaren Reiseschachbrett auf. Seine Idee für eine neuartige Problemstellung hatte sich als zu banal erwiesen, und er stellte die Figuren in die Ausgangsposition zurück, um sich etwas anderes auszudenken.
    »Schon nach einer Partie Lebendschach sind alle Gewänder stark beschädigt«, erwiderte Miira, ohne den Blick von ihrer Arbeit zu heben. Das Nähzeug schien noch aus der Zeit der Schwimmhalle zu stammen, denn auf dem Aluminiumdeckel stand der Name eines deutschen Desinfektionsmittel-Herstellers. »Die Seitennähte gehen auf, der Saum reißt. Außerdem sind die Gewänder am Rücken durchgeschwitzt.«
    »Glaubst du, dass sie allein von dem Laufen über die Felder derart in Mitleidenschaft gezogen werden?«
    »Nun ja, vielleicht bin ich ein wenig voreilig, wenn ich das jetzt sage, aber …«
    Miira legte die Stecknadel beiseite, riss den am Ende verknoteten Faden mit den Zähnen ab und fuhr dann nach einer kurzen Denkpause fort: »Vielleicht kommt es daher, dass beim Schach jede Partie ungeheuer umkämpft ist?«
    Miira fädelte einen neuen Faden durch das Nadelöhr und streifte ihn zwischen den Nägeln ab. Das Kleid, das sie gerade in Händen hielt, war weiß, und jedes Mal, wenn sie den Stoff ausbreitete, wurde die Taube auf ihrer Schulter von einer hellen Wolke verschluckt.
    »Jeder Zug ist wie ein verzweifelter Todesstoß, der das Schachbrett erschüttert. Dabei können die Figuren verletzt werden, so als würden sie tatsächlich gegeneinander kämpfen.«
    »Glaubst du wirklich?« fragte er ungläubig.
    Die schemenhaften Figuren, von denen nur das Rascheln ihrer flatternden Roben zu hören war, wenn sie über den Boden des Beckens wandelten, tauchten vor seinem inneren Auge auf, verblassten dann aber sofort wieder. Er war verwundert, dass Miira, die sich eigentlich nur um die Notation kümmerte, den Kraftakt wahrnahm, der bei jedem einzelnen Zug nötig war, aber es erfüllte ihn auch mit Stolz.
    Zwischen

Weitere Kostenlose Bücher