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Schwimmen mit Elefanten - Roman

Schwimmen mit Elefanten - Roman

Titel: Schwimmen mit Elefanten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verlagsbuchhandlung Liebeskind GmbH & Co. KG
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eines Schachautomaten kriecht oder ein Schachspiel in sich trägt.«
    »Das ist der Weg, den man einschlagen muss, um hinabzutauchen in den Ozean des Schachs.«
    »Ich bin sicher, dass du das Herz des Dattelkerns überall erkennen könntest.«
    »Oh, es freut mich, dass du das sagst. Danke, Miira.«
    Sie sprachen ganz leise miteinander. Das Mädchen mit seiner Stimme, die an das Gurren einer Taube erinnerte. Und der Junge, dessen Worte die Haare auf seinen Lippen erzittern ließ. Es machte ihn glücklich, mit Miira über ein Schachspiel zu reden, das still und leise in einer Ecke des Museums lag, wo niemand es bemerkte. Ihr Geflüster verschmolz zu einem Code, der nur für sie beide bestimmt war und keine anderen Ohren erreichte. Die Gewissheit, dass er der Einzige war, der Miiras Stimme vernahm, ließ den Jungen in seinem tiefsten Innern erschauern.
    »Ich mag deinen Gesichtsausdruck, wenn du so reglos über dem Schachbrett meditierst«, sagte Miira.
    Ohne zu wissen, was genau sie damit meinte, kniff der Junge instinktiv die Lippen zusammen und zog mit dem schwarzen Läufer aus Versehen von g1 nach f2. Die Lippenhaare klebten an seiner Zungenspitze. Seine Hoffnung, eine neue Problemstellung zu finden, hatte sich längst zerschlagen.
    »Sonst sehe ich dich ja nie beim Spielen, weil du immer in der Puppe steckst. Das finde ich schade«, sagte Miira. Sie hatte den Kopf gesenkt und wickelte sich einen Faden um ihren Finger.
    Wie gern hätte der Junge Miiras Hand berührt, die in dem Stoff vergraben lag. Wenn er nur ihre Hand herausziehen könnte, um sie dann in die Arme zu nehmen … Aber sosehr er sich auch reckte, er würde nie an sie heranreichen. Seine eigenen Hände waren zu klein, um ihre darin aufzunehmen, und seine Arme zu schwach, ihre Schultern zu umfassen.
    »Die Taube …«
    Unfähig, etwas zu erwidern, deutete er auf den Vogel.
    »Sie ist unruhig, vielleicht muss sie …?«
    »Keine Angst«, erwiderte Miira und streichelte die Taube, als würde sie ihre Frisur richten. Der Vogel ruckte mehrmals hin und her, bevor er seine übliche Pose einnahm.
    Während Miira sich ein schwarzes Gewand vornahm, stellte der Junge die Figuren in die Ausgangsposition zurück, um sich erneut dem Problem zu widmen. Er versuchte, jene grüblerische Miene aufzusetzen, von der Miira gesagt hatte, dass sie ihr gefalle. Angestrengt starrte er auf das Schachbrett, aber ihm fiel nichts Gescheites ein. Das Schachbrett, das sonst für ihn Verse schmiedete, eine Sinfonie erklingen ließ und Sternbilder nachzeichnete, war in diesem Moment nicht mehr als eine bedeutungsleere Fläche. In jener Nacht war es Miira, die für ihn Poesie, Musik und Sternbild in einem war.
    Kurz bevor der Kleine Aljechin wieder in den Schachklub zurückkehrte, ereignete sich ein Zwischenfall. An einem Samstagabend war eine Partie Lebendschach angesetzt, aber eine der Figuren war erkrankt und konnte nicht mitspielen.
    Notgedrungen musste Miira sie vertreten.
    »Aber ich kann das doch gar nicht«, hatte sie zunächst abgewehrt. Sie war fast den Tränen nah, als der Generalsekretär sie mit ungewohnter Sanftheit zu überreden versuchte.
    »Sie notieren doch ständig alles. Demnach wissen Sie, wie man die Figuren zieht. Es ist wirklich nicht schwierig. Sie brauchen sich nur auf das Feld zu begeben, das Ihnen genannt wird.«
    »Aber meine Taube …«
    »Die können wir solange in einen Käfig sperren.«
    »Wenn sie von mir getrennt ist, wird sie bestimmt vor Angst laut schreien.«
    »Na gut, dann bleibt sie während des Spiels auf Ihrer Schulter sitzen. Wir machen Sie zu einer weißen Figur. So wird der Vogel nicht auffallen, und das Problem wäre gelöst.«
    Somit wurde Miira zum Bauern von h2. Ihr wurde eines der weißen Gewänder übergezogen, das sie selbst ausgebessert hatte, bevor man sie in die Loge der Figuren geleitete.
    In seiner Kammer verborgen, beobachtete der Junge durch die Luke, was auf dem Grund des Schwimmbeckens vor sich ging. Da er mit Weiß die Partie eröffnen würde, atmete er erleichtert auf, als ihm klar wurde, dass Miira nicht den feindlichen Truppen angehörte. Als die weißen Figuren einmarschierten, erkannte er sie sofort. Allerdings nicht an der Taube und auch nicht daran, dass sie als Letzte ging, was ihrer Position auf h2 geschuldet war. Er erkannte sie an dem unverwechselbaren Schatten ihrer traurig gesenkten Wimpern.
    Miira erreichte die unterste Stufe der Treppe, von wo aus sie am Becken entlangging, ohne auch nur ein einziges Mal zu

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