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Schwindel

Titel: Schwindel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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Tagebuch zu suchen, schien mir vollkommen aussichtslos. Es schien
     mir auch illusorisch, ihm von meinen psychischen Problemen zu erzählen. Wie ein in weite Ferne gerückter Traum kam mir der
     Gedanke vor. Würde ich jetzt nur eine winzige Andeutung in diese Richtung machen, würde er mich wohl gar nicht mehr ernst
     nehmen.
    »Willst du dich nicht eben föhnen? Auf die zwei Minuten kommt’s nicht an. Ich will nicht, dass du krank wirst, nur weil du
     dich so beeilt hast und dich hier bei mir nicht wohlfühlst.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass ich mich bei dir nicht wohlfühle.«
    Julian nickte. »Ja, aber   … ich hab jetzt auch ein bisschen überreagiert. Also, wenn du dich föhnen willst – ich bleibe hier sitzen und gehe ganz bestimmt
     nicht weg.«
    Ich wäre lieber schnurstracks in den Wald gerannt, um mein Tagebuch zu suchen, aber ich hatte nicht dieKraft, mich gegen seine freundliche Bitte durchzusetzen, also lächelte ich und stand auf. Ob ich meine Haare trocknete oder
     nicht, spielte keine Rolle. Ich tat es, weil Julian mich darum bat, und dann kam ich wieder herunter, riss mich zusammen und
     aß das Stück Pizza, das er auf meinen Teller gelegt hatte. Ich zwang mich dazu, nicht darüber nachzudenken, ob Julian tatsächlich
     »etwas an seinem Motorrad nachgesehen« hatte oder ob er nicht vielmehr heimlich telefoniert hatte. Aber warum sollte er das
     tun: mich unter die Dusche schicken, um heimlich telefonieren zu können? Wir waren frisch verliebt, wir sollten keine Geheimnisse
     voreinander haben! Aber ich hatte ja auch Geheimnisse vor ihm und das beschämte mich und schwächte meine Position, daher aß
     ich brav alles auf und trank sogar noch ein Glas Rotwein dazu. Zum Schluss drehte sich mir der Kopf, aber ich sagte tapfer:
     »Hat gut geschmeckt.«
    »Wirklich?«
    »Ja, sehr. Ich   …« Hui, wie schön ist es, beschwipst zu sein, dabei setzt wenigstens das Denken aus! »Ich freue mich doch auch, dass du dir
     so viel Mühe gegeben hast, und es tut mir wirklich leid, dass ich heute keine Stimmungskanone bin. Aber erst der Schreck im
     Wald und dann das verlorene Tagebuch   …«
    »Das Tagebuch.« Julians Gesicht bekam endlich wieder den weichen, verwundert-amüsierten Ausdruck, den ich so an ihm mochte
     und den ich den ganzen Abend noch nicht ein einziges Mal gesehen hatte. Er legte seine Hände auf meine, grinste, zog die Augenbrauen
     hoch und sagte: »Auch wenn mein Fuß Ruhe braucht, werde ich mich jetzt mit dir aufs Motorrad schwingen und denganzen verflixten Weg bis zum Bahnsteig abfahren. Zumindest die Strecken, die man fahren kann, ohne sich den Hals zu brechen.
     Na, ist das ein Angebot?«
    »Oh Julian, du bist der Beste!« Ich sprang auf, stieß das Weinglas um und schwang mich auf seinen Schoß.
    Es würde alles gut werden! Wir würden das Tagebuch finden, sehen, dass der Verletzte fort und daher offenbar versorgt war,
     und erleichtert zurückfahren. Wir würden den Rest der Pizza genießen können, vor dem Kamin kuscheln und beinahe einschlafen
     und morgen würden wir über den ganzen Spuk lachen.

9
    Das Motorrad war eine ziemlich neue Enduro mit der richtigen Mischung aus strahlendem Chrom und verwegenen Dreckspritzern,
     ihr Motor klang laut und aggressiv, und als Julian mir mit dem Kopf ein Zeichen gab, mich hinter ihn zu setzen, kehrte plötzlich
     das Glücksgefühl vom Mittag zurück. Mein Ritter brachte mich auf seinem stählernen Ross fort von diesem mir nicht geheuren
     Ort, er rettete meine Ehre und löste all meine Probleme. Und wenn er mich nach vollendeter Heldentat heimbrächte, dürfte er
     mich auch gern über die Schwelle tragen.
    Obwohl mich der muffige Helm auf dem Kopf störte – man bekam darin doch recht wenig Luft und die Vorstellung, dass schon manch
     fremder, fettiger Kopf in ihm gesteckt hatte, verursachte mir sachten Ekel   –, lächelte ich selig, als wir den Hof der Mühle verließen.
    Auf dem vom Bahnhof aus gesehen letzten Stück des Pfades, dort, wo ich mich verirrt hatte, fanden wir das Tagebuch nicht,
     obwohl wir beide abstiegen und mit Taschenlampen die Seiten links und rechts des Wegs ableuchteten. Ich sah allerdings schnell
     ein, dass eine Suchaktion ziemlich aussichtslos war, erst recht jetzt in der Nacht. Schließlich war ich vorhin kopflos durch
     das Gestrüpp gestürmt und alle zwei Meter an dornigen Zweigen hängen geblieben, da konnte es überall herausgerutscht sein.
    »Die alte Strecke bis zum Regenhäuschen ist mir zu

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