Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwindel

Titel: Schwindel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
Vom Netzwerk:
schon wieder mit den Tränen kämpfen musste. Julian behandelte mich wie ein dummes Kind! Und das wirklich
     Gemeine daran war, dass ich, je mehr wir diskutierten und Zeit verstreichen ließen, immer unsicherer wurde,
wie schlimm
das Erlebte wirklich gewesen war.
    Es war ja auch leider nicht zu leugnen, dass ich sehr oft sehr schnell in sehr große Angst geriet. Obwohl ich das vor Julian
     bisher stets verheimlicht hatte, schien er instinktiv zu spüren, dass mein Urteilsvermögen nicht ganz in Ordnung war.
    »Glaub mir, Evchen, du hast einen Schrecken gekriegt, völlig zu Recht, aber du machst keinen Fehler, wenn du dich jetzt aus
     der Sache raushältst. Ich meine, ich finde es toll, wie engagiert und hilfsbereit du bist, du bist eine super Frau, ich liebe
     dich, aber in diesem Fall übertreibst du. Der Junge ist längst aufgestanden und fortgegangen. Verlass dich auf mich.«
    Ich nickte und rieb mir mit den Händen durchs Gesicht. »Ja«, sagte ich, so müde, als hätte ich eine Woche nicht geschlafen,
     »wenn du meinst.«
    »Gut.« Julian schien erleichtert. »Wie wär’s, wenn du dann mal deine Jacke ausziehst? Ich sollte auch die Pizza aus dem Ofen
     holen, ich fürchte, die ist schon mehr als knusprig.«
    Er öffnete den Backofen. Sofort erfüllte ein vielversprechender Duft den Raum.
    Alles ist normal, sagte ich mir. Wir essen jetzt Pizza und machen Urlaub. Der Schrecken ist vorbei; der Vermieter ist blöd,
     aber das sind sie meistens; und der Junge aus dem Wald ist längst zu Hause oder bei seiner Freundin, die ihm den Arm um die
     Schulter legt und mit butterweicher Stimme sagt: »Tut mir leid, dass mein Ex so eifersüchtig ist. Hast du viel abgekriegt?«
    Hoffentlich war es so! Hoffentlich konnte Julian die Lage wirklich realistischer einschätzen als ich! Warum wehrte ich mich
     nur so gegen seine Hilfe, hatte solche Zweifel?
    »Glück gehabt, nicht angebrannt, sie kann’s sogar noch ein paar Minuten im Ofen aushalten. Komm, ich trag deine Sachen rauf
     und zeig dir alles. Willst du kurz duschen – oder lieber erst essen und dann duschen   …«
    Ich hatte ursprünglich nicht vorgehabt, bei meiner Ankunft gleich unter die Dusche zu gehen, aber da ich vom Laufen verschwitzt
     war, ein wenig Entspannung gebrauchen konnte und Julian es nun mal vorschlug, schien es mir naheliegend. »Ich dusch zuerst.«
    »Okay.« Julian strahlte, als ob ihm auch diese Antwort besonders gut gefiele, drückte mir einen Kuss auf den Mund und trat
     dann durch den schmalen Flur, von dem auch die eigentliche Eingangstür zur Gasse hinabging, wieder in den großen Wohnraum mit dem Kamin und der Glasfensterfront zur Hofterrasse. Mein Rucksack lag noch draußen.
     Während Julian ihn und die Thermoskanne holte, sah ich mich um: Das Zimmer war modern eingerichtet, die Stereoanlage spielte
     leise Popmusik, im Kamin knackten und knisterten die Holzscheite und an der Wand über dem Keyboard hingen die ersten Malversuche
     von Julians dreijähriger Nichte. Beim Fuchs hingen auch Kinderbilder auf einer fliederfarbenen Tapete, ein beruhigender Anblick.
    »Ganz schön schwer zu schleppen!« Julian grinste, schloss die Tür, trug den Rucksack vor mir her zurück in den Flur und an
     dessen Ende eine Wendeltreppe hinauf. »Das Bad und die Schlafzimmer sind oben.«
    Gerne hätte ich etwas gesagt, hätte seine Freude, mir das Häuschen zu zeigen, geteilt, aber noch war ich innerlich mit dem
     Ankommen beschäftigt.
    »Hier schlafen wir. Da – dein Kleiderschrank, ich hoffe, du hast genug Platz. Und hier – das Bad, die Handtücher kannst du
     nehmen. Und da vorn ist noch das zweite, kleine Schlafzimmer, das brauchen wir ja nicht, das hab ich auch nicht geheizt.«
    »Danke.«
    »Jetzt guck nicht mehr so erschrocken. Geh erst mal in Ruhe unter die Dusche; ich decke in der Zwischenzeit den Tisch und
     dann wird alles gut.«
    »Okay. Dann tun wir am besten so, als wäre gar nichts passiert.«
    »Genau.« Julian rieb sich den verbundenen Fuß.
    Seine Verletzung hatte ich ganz vergessen. »Mensch, ich Idiot, ich hab in der Aufregung gar nicht gefragt,wie’s
dir
geht«, rief ich und schlug mir mit der Hand an die Stirn.
    »Keine Ursache.« Julian lächelte milde. »Eine Verstauchung oder so. Das wird schon wieder. Hauptsache, du beruhigst dich jetzt.«
    Wir küssten uns. Dann winkte er mir zu und humpelte langsam die Treppe hinunter. Ich hätte ihn den Rucksack nicht schleppen
     lassen dürfen, dachte ich schuldbewusst, vorhin in der Küche

Weitere Kostenlose Bücher