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Schwindel

Titel: Schwindel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
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die entscheidenden
     Formulierungen, sprach zum Beispiel den Begriff Psychotherapeut nie aus, nicht mal »Herr Fuchs« brachte er über die Lippen,
     kuriose Sätze wie »Musst du heute Nachmittag wieder zu
dem Menschen in der Innenstadt
?« waren das Höchste der Gefühle. So hatte er, als er einmal mitmusste, beim Gespräch auch extrem verkrampft dagesessen und
     hauptsächlich meine Mutter sprechen lassen, obwohl er sonst alles andere als auf den Mund gefallen war.
    Nur Sarah ging locker damit um, fand, dass meine Familie sich furchtbar anstellte, und bestärkte mich regelmäßig in meinem
     Vorhaben, mit Julian darüber zu reden. »Wie viele magersüchtige Mädchen gibt es«, fragte sie gerne, »meinst du, die schämen
     sich alle?«
    Auch wenn mir ihr gutes Zureden Mut machte und ich in letzter Zeit selbstbewusster geworden war und mir außerdem fest vorgenommen
     hatte, Julian genau an diesem Wochenende einzuweihen, war es für mich eineunerträgliche Vorstellung, dass jemand mein Tagebuch lesen könnte.
    Das musste ich auf jeden Fall verhindern!
    Ich trocknete mich rasch ab, verzichtete aufs Föhnen, schlüpfte nur in meine Sachen und lief die Wendeltreppe hinunter. Im
     Wohnzimmer war der Esstisch gedeckt, doch Julian war weder dort noch in der Küche. »Julian?« Ich öffnete die Terrassentür.
     »Hallo?« Keine Antwort. Das Mühlenanwesen lag still da, man hörte nur das nahe Plätschern des Baches. Da es viel dunkler als
     in der Stadt war, ging ich lieber gleich wieder rein. Noch einmal lief ich durch das kleine Haus: Wo war Julian? Er konnte
     sich nicht in Luft aufgelöst haben! War er etwa losgegangen, um mein Tagebuch zu suchen? Oder hatte er es sich in der Sache
     mit dem Jungen anders überlegt und war unterwegs, um ihm doch zu helfen? Aber er konnte nicht richtig laufen!
    Nur um etwas zu tun, öffnete ich nun auch die Haupteingangstür, die zur Gasse hinausführte. Es war ja immerhin möglich, dass
     Julian noch einmal die schadhafte Stelle am Schuppendach kontrollieren wollte. Vorsichtig wagte ich mich hinaus. Vor mir ragte
     das hohe Mahlhaus auf, in dem der Jeep gestanden hatte. Wie düster das fensterlose Gebäude mit dem schwarzen Schieferdach
     aussah! Der niedrige Schuppen, den Julian gemeint haben musste, schloss sich auf dessen linker Seite an. Fröstelnd und mit
     um den Körper geschlungenen Armen ging ich ein paar Schritte. Julian war nicht zu sehen, das Dach sah auch ziemlich neu aus;
     vielleicht hatte er einen anderen Schuppen gemeint.
    »Mensch, Julian, komm doch, wo bist du denn?«,jammerte ich leise vor mich hin und rieb mir erneut Tränen von den Wangen. Kopfschmerzen würde ich auch kriegen und ich wusste
     nicht einmal, ob ich Aspirin eingesteckt hatte.
    Jemand lachte. Leise und unterdrückt.
    War das der Nachbar? War er, während ich duschte, zurückgekehrt und stand nun, ein totes Rehkitz über die Schulter geworfen,
     hinter der Hausecke? Kam er gleich hervorgesprungen, schlug mir das noch warme Tier ins Gesicht und griff mir mit der Hand
     an die Gurgel?
    Nein, nein, nein! Ich hielt mir die Ohren zu, als könne ich so meine innere Angststimme aus meinem Kopf aussperren.
    Wieder das Lachen: Julians Lachen.
    »Julian!« Ich stürzte auf ihn zu, als er aus dem Garagentor trat.
    »Hoah!«, machte er erschrocken, etwas Silbernes fiel ihm aus der Hand und er streckte den Arm aus, damit ich nicht in meiner
     Hast darauf trat. »Was machst du denn hier draußen?«, rief er, hob rasch sein Handy auf und schob es in die Jeanstasche.
    »Ich hab dich gesucht, ich hatte Angst!«
    »Angst! Blödsinn! Jetzt reiß dich aber mal zusammen!« Er gab mir keine Möglichkeit, ihn zu umarmen, sondern stürmte ins Haus
     und zerrte die Pizza aus dem Backofen. »Wollen wir jetzt essen oder nicht?«
    »Aber   …«
    Einen Moment schwiegen wir beide, er genervt, ich gerade so eben in der Lage, mich auf den Stuhl zu setzen. Nach zwei endlosen
     Minuten entspannte sichsein Gesicht und er warf mir ein dünnes Lächeln zu. »Entschuldige. Ob das mit uns heute Abend noch was wird?«
    »Vielleicht sollten wir wirklich erst mal essen«, schlug ich tapfer vor, wohl wissend, dass mir überhaupt nicht danach war.
    »Okay«, Julians Lächeln wurde etwas kräftiger, versöhnlicher, »ich hab in der Garage was an meinem Motorrad nachgesehen, ich
     dachte, du würdest länger unter der Dusche bleiben.« Er warf einen Blick auf meine feuchten Haare.
    Mir fiel keine Antwort ein. Ihn zu bitten, jetzt mit mir mein

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