Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Schwindel

Titel: Schwindel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kristina Dunker
Vom Netzwerk:
aufgetaucht war, den jede falsche Bewegung vergrößern würde.
    »Du willst sicher nach Hause«, flüsterte ich und mir fuhr durch den Kopf, dass ich dorthin auch gern gefahren wäre – nach
     Hause.
    »Nein, nein, mein Fuß ist viel besser. Manchmal vergesse ich schon, dass er verletzt ist. Da hab ich wohl Glück gehabt.«
    Ich nickte. Das also war die Erklärung für den Tritt gegen den Tannenzapfen. Zum zweiten Mal an diesem Abend gab er mir unaufgefordert
     eine Erklärung und wieder überzeugte sie mich nicht ganz.
    »Komm, Evchen«, er nahm meine Hand, jetzt immerhin so, wie’s eine gute Freundin tun würde, »nun machen wir’s gründlich.«
    Ich stieg auf die Enduro, zwängte meinen Kopf in den furchtbaren, Beklemmung und Atemnot auslösenden Helm, legte meine Arme
     steif um seinen Rücken und versuchte mich an das Glücksgefühl zu erinnern, das ich gerade noch beim Fahren gehabt hatte –
     weg!
    Weg wie das Tagebuch, das sich weder auf dem Wanderweg vom Regenhäuschen zum Ort noch auf der Straße zum Bahnhof, in der Halle
     oder auf den Gleisen fand.
    Einfach weg, wie meine Freude auf diesen Urlaub.
    Eine halbe Stunde später parkten wir das Motorrad neben Bernd Vollmers Jeep in der Garage, gingen schweigend ins Wohnzimmer,
     wo der Rest der kalten Pizza auf dem Tisch stand, räumten das Geschirr ab, und als Julian sich mit einem Seufzer die Weinflasche
     griff, ging ich nach oben und legte meine Sachen in den Schrank. Dabei fiel mir das neue Nachthemd in die Hände; ich hatte
     es zusammen mit Vanessa und Vivian ausgesucht, die es »affenscharf« gefunden und mir in ihm die heißeste Nacht meines Lebens
     prophezeit hatten. Sollte ich es anziehen? Musste ich ja, wenn ich schlafen wollte, einen popeligen Pyjama hatte ich gar nicht
     erst eingepackt. Kaum hatte ich das Negligé jedoch an, wich meine grenzenlose Enttäuschung einem stärkenden Gefühl von Trotz:
     Ich mochte Probleme haben und ein Pechvogel sein – hässlich war ich nicht.
    Das sah Julian wohl auch so. Ich bemerkte, wie seine Augenbrauen beeindruckt in die Höhe schnellten, als ich wieder ins Wohnzimmer
     kam. Nur hatte er leider schon den Fernseher eingeschaltet, die Weinflasche geleert und dazu den verletzten Fuß so demonstrativ
     hochgelegt und mit einem derart überdimensionalen Eisbeutelverband umwickelt, dass man jetzt glauben musste, einen Schwerverletzten
     vor sich zu haben, der völlig bewegungsunfähig war. Ich trat zu ihm und gab ihm einen Kuss auf den Mund. »Bin müde, ich glaub,
     ich geh ins Bett.«
    »Ich   …« Er öffnete den Mund, sein Blick wanderte von meinen Augen in meinen Ausschnitt und wiederzurück; er sah süß aus, spontan mutig und verlegen schüchtern zugleich, genauso wie am ersten Tag, als wir in der Warteschlange
     vorm Schulkiosk standen.
    Natürlich wusste ich, dass ich ihn noch liebte. Ich war mir auch sicher, dass er letztendlich das Gleiche empfand und die
     schlechte Stimmung zwischen uns am liebsten sofort geklärt hätte. Aber es gab etwas, das ihn einen winzigen Moment zögern
     ließ, und da drehte ich mich um, sagte Gute Nacht und ging.
    Jetzt hätte ich gern mein Tagebuch gehabt, aber das lag im Wald und so löschte ich das Licht und rollte mich im Bett zusammen,
     sodass ich mit dem Rücken zu Tür und Julians Seite lag. Mir fiel ein, dass ich vergessen hatte, meine Eltern anzurufen. Aber
     wenn ich das nun täte, würden sie mir garantiert anmerken, dass es mir nicht gut ging.
    Julian kam zwanzig Minuten später, gab sich ordentlich Mühe, gerade so viel Lärm zu machen, dass man wach wurde, aber trotzdem
     dachte, er versuche, leise zu sein, kroch neben mich und legte seinen Arm um meinen Bauch. Ich freute mich, tat aber so, als
     schliefe ich schon und merke es nicht. Bis ich dann tatsächlich einschlief, dauerte es noch lange, während Julians gleichmäßige
     Atemzüge verrieten, dass er sich bereits weit draußen auf dem Meer der Träume befand. Wenn ich versuchte, mich zu entspannen,
     hatte ich schnell den Eindruck, das Bett drehe sich oder wackle wie bei einem leichten Erdbeben. »Lageschwindel« hieß das
     und ich versuchte es zu ignorieren, indem ich konzentriert auf jedes Knarren und Knacken lauschte, auf die mir unbekannten
     Geräusche: Wind, Tierlaute, Holzbohlen, denBach. Als sich zu den unheimlichen Lauten die Bilder des Abends in mein Bewusstsein drängten, rutschte ich näher an meinen
     Freund heran.

10
    Sonnenschein, Bachrauschen, Kaffeeduft.
    »Guten Morgen,

Weitere Kostenlose Bücher