Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
herumtreibe.«
Obwohl die Morgensonne durch die Fenster mit den vielen kleinen Scheiben schien, sah ich nicht viel von Lillemor. Sie hatte sich auf dem Sofa zusammengekauert und den Kopf mit dem Gesicht nach unten auf ein Kissen gelegt.
»Du brauchst deine Augenwischereien«, sagte ich. »Ich für meine Person brauche die Anonymität, ich brauche sie wie der Regenwurm die Erde. Ich fühle mich wie der Wurm, wenn er die Erde frisst und umwandelt. Die Anonymität ist meine dunkle Nahrung.«
Das klang etwas pathetisch, aber ich war mir ohnehin nicht sicher, ob sie hörte, was ich sagte, oder sich überhaupt darum kümmerte. Ich sah nur ihre Haare und ihren zusammengekauerten Körper. Als sie sich aufrichtete und sich in ihrem Nachthemd vor das Sofa stellte, sah sie jedoch aus wie Lucia di Lammermoor im letzten Akt, nachdem sie ihren Bräutigam geschlachtet hat und auf dem Weg in den Wahnsinn ist.
Gesten! Ausdruck! Mein Gott, wie leid ich sie manchmal hatte.
In der dunklen Stube mit den braunen Holzwänden und all den Wandbehängen, welche die Geräusche dämpften, fragte ich mich, ob sie der Braut von Lammermoor deshalb so sehr glich, weil ihr eine Idee gekommen war: Wenn sie sich im Affekt statt ihrer selbst meiner entledigte, bekäme sie ein oder zwei Jahre in der Klapsmühle und könnte anschließend in ein ruhiges Dasein auf ihrem vergoldeten, nummerierten und mit Seide bezogenen Stuhl zurückkehren. Sie wäre nicht die Erste, die nach der Aufnahme in die Akademie verstummte. Und in diesem Moment hasste sie mich, das sah ich. Oder war es nur ein neuer Ausdruck?
Da sagte sie – und ich zögere nicht zu schreiben, dass sie es mit bebender Stimme tat –: »Ich habe Angst.«
»Jetzt hast du endlich mal ein wahres Wort gesprochen. Du hast Angst davor aufzufliegen. Wenn wir aber geschickt vorgehen, brauchst du keine Angst zu haben. Die größte Gefahr ist bereits beseitigt.«
»Welche denn?«
»Deine Mutter.«
»Meinst du, sie ahnt etwas?«
Sie schwieg eine Weile und dachte nach. »Das würde einige Merkwürdigkeiten erklären, die sie von sich gegeben hat«, sagte sie.
»Giftigkeiten«, sagte ich. »Du bist so an sie gewöhnt, dass du gar nicht merkst, wenn sie dich mit kleinen Dosen zu vergiften versucht. Wie hieß doch gleich dieser verdammte Krimi, wo die Opfer mit Tannin versetzte Zahnpasta bekamen? War er nicht von Agatha Christie? Sie blichen dahin, wurden langsam und unmerklich todkrank. Starben schließlich.«
»Du bist widerlich!«
»Das ist jetzt jedenfalls vorbei. Deine Mutter ist keine Gefahr mehr. Dein Erfolg hat sie entwaffnet. Sie wird bei deinem Eintritt in die Akademie an der feierlichen Versammlung teilnehmen und es genießen. Du glaubst doch nicht etwa, dass sie dich jetzt auffliegen lässt? Sie ist bestimmt dazu übergegangen, an dich als Schriftstellerin zu glauben, und sie ist sich absolut klar darüber, dass du deine Begabung von ihr geerbt hast.«
»Und du glaubst, dass ich meine Falschheit von ihr geerbt habe!«
»Nein«, erwiderte ich. »Du hast ihre Gesten gelernt, weil sie sich in dir gespiegelt hat. Aber du bist gutmütig, und ich glaube, das hast du von deinem Vater.«
Da weinte sie. Eine ganze Weile saß sie auf dem Sofa und schluchzte in ein Plaid. Ich holte eine Rolle Haushaltspapier und schenkte ihr noch mal Whisky in die Kaffeetasse. Sie kippte ihn auf ex hinunter, schüttelte den Kopf und kokettierte ein bisschen, dass er so stark sei. In diesem Moment fand ich sie mit ihren Gesten fast süß.
»Es ist jedenfalls Betrug«, sagte sie. »Und ich weiß nicht, ob ich damit leben kann.«
»Doch, das kannst du. Alle Schriftsteller können das. Sie müssen es können.«
»Aber die haben ihre Bücher immerhin selbst geschrieben!«
»Ach ja? Du weißt es besser, du hast schließlich Literaturgeschichte studiert und eine ganze Menge rezensiert. Du weißt doch, dass Schriftsteller stehlen und lügen. Entlehnen, beeinflussen, paraphrasieren, parodieren, anspielen oder weiß der Himmel, welche feinen Bezeichnungen es dafür gibt. Alles außer plagiieren, denn das darf man nicht. Jedenfalls darf man es nicht so nennen. Auf alle Fälle aber stehlen sie. Literatur lebt von Literatur. Du weißt ganz genau, dass die Autoren voneinander stehlen. Sie beuten andere aus und schmarotzen, entkleiden ihre Nächsten bis auf die nackte Haut und noch tiefere Schichten. Sie plündern das Grab ihrer Mutter und riechen an den Unterhosen ihres Vaters, und sie tun dies schon seit der Zeit
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