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Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Schwindlerinnen: Roman (German Edition)

Titel: Schwindlerinnen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Ekman
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ephemere Geschöpfe, schaffen es aber, auf dem kurzen Weg, den der Mönch Beda Venerabilis als den Flug eines Sperlings durch die dunkle Halle von einem Fenster zum anderen beschreibt, so einiges Elend anzurichten.
    Um zwanzig vor zwölf entdeckte ich das Boot. Es dauerte eine geraume Weile, bis ich wagte, davon überzeugt zu sein, dass es Lillemors Kahn war und sie auch tatsächlich ruderte. Als sie ausstieg und ihn vertäute, war sie absolut ruhig, ich dagegen gar nicht. Ich schimpfte sie aus. Was trieb sie da eigentlich? War das irgendein Theater? Sie reagierte nicht, sondern hob nur einen großen geflochtenen Weidenkorb, eine sogenannte Kiepe, aus dem Boot.
    »Lass uns jetzt raufgehen und eine Tasse Kaffee trinken«, sagte sie.
    Sie war irgendwie sehr gesammelt und sehr traurig. Es war warm geworden, und wir trugen das Kaffeetablett hinaus und setzten uns auf die Gartenmöbel Marke Eigenbau aus dicken, krummen Eichenästen und mit schweren Planken als Sitzen. Sie sprach nicht viel, starrte vor allem aufs Wasser. Ich glaubte alles ertragen können – nur nicht diese Traurigkeit.
    Nach einer ganzen Weile sagte sie: »Gefangen.«
    Ich wartete auf eine Fortsetzung.
    »Erinnerst du dich nicht an Mister Polly?«, fragte sie.
    Selbstverständlich erinnerte ich mich an ihn. Und da kapierte ich. Sie war wirklich gefangen.
    Gefangen. Fürchterlich, grässlich, hoffnungslos und entsetzlich gefangen, sagte Mister Polly.
    Ihre Stimme war völlig ausdruckslos, und sie starrte weiterhin auf den See. Mister Polly in H. G. Wells’ Roman hatte seine Kleider abgelegt, war ans andere Ufer geschwommen und dort an Land gestiegen, um ein neues Leben anzufangen. Für Lillemor gab es aber kein neues Leben jenseits des Wassers, wo man die blauen Höhenrücken sah. Das Schlimmste aber war ihre Traurigkeit. Wäre sie böse gewesen, verzweifelt, hysterisch – was auch immer –, dann hätte ich sie vielleicht sanft oder unsanft zur Vernunft bringen können. Aber gegen diese Traurigkeit war ich machtlos. Ich versuchte es immerhin und sagte, es sei eigentlich nicht schlimmer als vorher.
    »Ach nein?«
    Schließlich bat sie mich, nach Hause zu gehen. Aber ich wollte sie nicht allein lassen. Ich hatte nach wie vor Angst, wenn ich an den See und den Kahn dachte.
    »Ich möchte dich nicht allein lassen«, sagte ich, und ein Weilchen war es still.
    »Wir kommen da nicht raus, Lillemor.«
    »Darüber bist du doch froh.«
    »Nicht ganz. Ich finde aber, du solltest es nicht dramatisieren.«
    »Ach nein?«
    Sie wandte sich mir heftig zu. »Ich bin eine falsche, eine Art … ach, ich weiß nicht, was ich bin. Jedenfalls nicht das, was sie in der Akademie von mir glauben. Ich habe das, wofür sie mich gewählt haben, ja gar nicht geschrieben.«
    »Du hast ziemlich viel an unseren Büchern gearbeitet.«
    »Ach was!«
    »Im Übrigen haben sie dich nicht für das gewählt, was du geschrieben hast.«
    Sie drehte sich abrupt zu mir um. »Spinnst du?«
    »Sie haben dich aus politischen Gründen gewählt.«
    »Ich und politisch!«, sagte sie.
    »Nein, aber genau deswegen haben sie dich gewählt. Hätten sie in dieser Zeit jemanden von der Linken genommen, dann hätten sie einen Korb riskiert. Im Übrigen glaube ich nicht, dass sie irgendwelche Revoluzzer oder Rebellen oder auch nur Progressive haben wollen. Die wollen jemanden wie dich. Eine kultivierte Dame mit akademischem Abschluss. Eine Frau ist doch ein Pluspunkt für sie. Du passt dorthin, und ich glaube, du wirst viel Nützliches tun. Das ist genau dein Stil.«
    »Du meinst, ich bin ein tüchtiges Mädchen?«
    »Warum sagst du das?«
    »Weil Sune das gestern gesagt hat.«
    Es wurde wieder ein langer und arbeitsreicher Tag für Lillemor. Sie bat mich zu gehen, als die Journalisten kamen, und ich verstand sie. Es war ihr natürlich unangenehm, mich dabeizuhaben, wenn sie die Fragen über ihre Kindheit und das Erwachen ihres schriftstellerischen Talents beantwortete. Ich traute mich, sie allein zu lassen, weil ich wusste, dass sie vorsichtiger geworden war. Alles, was sie sagte, schwebte auf der Grenze zwischen reiner Lüge und Wahrscheinlichkeit. Außerdem bat sie mich, den Hund in Obhut zu nehmen, weil sie Briefe beantworten und Dankeskarten schreiben müsse.
    Als ich von meiner Bleibe aus das letzte Auto Örnäs und Lostbyn verlassen sah und es allmählich dunkel wurde, ging ich wieder zum Sommerhaus hinunter. Eine andere Art von Unruhe hatte mich ergriffen. In Lillemors Leben gab es etwas, was sie

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