Schwindlerinnen: Roman (German Edition)
das Messer aus der Dunkelheit nannte. Das klang hochdramatisch, aber ich wagte nicht, mich darauf zu verlassen, dass es nur Theater war.
Sie hatte mal erzählt, dass sie versucht habe, diesen Ausweg zu nehmen, von dem mir übel wurde. Zwei-, dreimal war das vorgekommen. Das erste Mal war es sicherlich nur das hysterische Spiel eines jungen Mädchens gewesen. Mit dreizehn oder vierzehn Jahren hatte sie den Arm durch ein kleines Fenster im Ankleideraum des Elternhauses gestoßen. Sie wollte sich dabei so verletzen, dass die Pulsadern durchgeschnitten würden. Das passierte natürlich nicht, aber sie hat auf der Innenseite der Handwurzel eine weiße Narbe davongetragen. Das zweite Mal war in ihrem ersten Semester in Uppsala. Was genau sie da gemacht hatte, verstand ich nicht, aber jedenfalls war es ergebnislos geblieben. Sie war in der Nacht draußen gelandet und vom Parthenon zum Friedhof und zum Infektionskrankenhaus hinaufgegangen. Dort war sie stehen geblieben und hatte sich am Gittertor festgehalten, und sie sagte, sie habe gehofft, dass jemand käme, sie aufnähme und in ein Bett legte.
Und dann war da diese Walpurgisnachtgeschichte mit Ritalin und Mackipillen. Damals hätte es wirklich schiefgehen können. Ich war von diesen Geschichten so unangenehm berührt, dass ich nicht viel danach fragte. Ich machte wohl irgendeine Bemerkung, wie merkwürdig es doch sei, dass jemand Pläne schmieden könne, dem einzigen Leben, das man bekommen habe, ein Ende zu setzen. Darauf sagte sie, dass man so etwas keineswegs plane. Es komme wie das Messer aus der Dunkelheit.
Ich wusste, dass sie mich jetzt nicht sehen wollte, und blieb vor dem Haus. Ich wanderte, vom Erlengebüsch am Uferrand halb verborgen, auf und ab, und das erinnerte mich daran, wie ich mich seinerzeit im Engelska Parken an sie herangeschlichen hatte. Damals war ich allerdings von meiner Idee erregt, mir ihr Gesicht zu leihen. Jetzt war mir übel vor Angst. Irgendetwas an ihrer Abweisung und ihrer einsamen Rudertour auf den See erschreckte mich. Würde sie wieder hinausrudern, wenn es richtig dunkel war?
Ich spähte zwischen den Erlenzweigen hindurch und sah sie in der großen Stube am Tisch sitzen. Sie schien zu schreiben. Auch das ängstigte mich. Denn sie schrieb ja wohl nicht bis tief in die Nacht ihre idiotischen Dankesbriefe!
Schließlich ging das Licht aus und nach einer Weile in ihrem Zimmer im oberen Stock an. Musse wurde jetzt unruhig. (Wir hatten die kleine Hündin umgetauft, da sie voll Inbrunst losheulte, sobald das Wort Sjunga fiel.) Ich ging mit ihr zu Lillemors Auto, und da es offen war, konnte ich sie auf den Rücksitz packen. Auf Welpenart schlief sie sofort ein.
Es wurde eine lange, kalte Nacht. Der Siljan war nicht mehr glatt wie mattes Metall, sondern von kurzen Wellen bewegt, die unruhig gegen die Ufersteine schwappten. Die letzten noch wachen Vögel schrien mehr, als dass sie sangen. Warnten sie? Mir fiel Sigurd Fafnesbane ein, der die Gabe erhalten hatte, die Vogelsprache zu verstehen. Aber eigentlich dachte ich wohl an den, dem als Erstem eingefallen war, die Völsunga-Saga zu erzählen. Er muss den Vögeln gelauscht und auf den Gedanken gekommen sein, dass sie eine Sprache hatten, welche die Menschen nicht verstehen.
Es drangen auch andere Geräusche aus der Nacht. Ein klagender Schrei. Ein Hase, den der Fuchs riss? Ich wusste nicht viel von dem, was sich in der Nacht tat. Aber war es nicht die Dunkelheit, aus der das Messer kam? Ich fror jetzt erbärmlich und wollte eigentlich den Hund nehmen und zu mir hinaufgehen, mir heiße Milch mit Whisky machen und mich ins Bett verkriechen. Unter dem bewölkten Himmel wurde es immer dunkler. Aber ich wagte es nicht, wegzugehen.
Im Auto lag ein Plaid, das holte ich mir und wickelte mich darin ein. Dann saß ich auf den Gartenmöbeln, hatte krumme Eichenäste im Rücken, fror und verlor ab und zu den Kopf im Schlaf, wurde wieder wach und fror. Ein Weilchen legte ich mich zusammengekrümmt wie eine gekochte Garnele auf die harten Planken. In Lillemors Zimmer brannte die ganze Zeit kein Licht.
Der Morgen kam und befreite mich. Allein das Licht und der erwachende Vogeljubel nahmen mir die Angst. Die Dunkelheit gab es nicht. Das Messer war ein Lügenmärchen. Oder eine Metapher! Ja natürlich. Ich wurde allmählich munter, als die Buchfinken einander wie Tenöre in einer italienischen Freiluftarena herausforderten, und kam mir ein bisschen blöd vor, weil ich so ängstlich gewesen war. Es
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