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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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irgendwohin bewegte. Selbst wenn der Landstrich dünn besiedelt war, gab es doch immer wieder Menschen hier, die ihr helfen mochten.
    Oder die ihre Schwäche ausnutzen würden.
    Doch was konnten sie ihr schon noch groß nehmen? Ihre Habe war verloren, ihre Kleidung zerrissen, dreckig und feucht. Ihr Mut war nur noch eine Erinnerung. Ihre Unschuld hatte sie einem Fremden gegeben, der fremder nicht hätte sein können.
    Ihr Leben konnte man ihr noch nehmen. Zumindest einen Teil davon besaß sie noch.
    Eine plötzliche Bewegung ließ sie erschauern. Ein großer, schwarzer Vogel landete auf einem Ast über ihr. Dann zwei. Dann mehr. Ein ganzer Schwarm. Raben.
    Warteten sie auf ihren Tod? Jetzt und hier?
    Hatte er sie geschickt?
    „Fort mit euch“, murmelte sie, zu schwach, um sie anzuschreien.
    Einer stieß vom Ast ab und landete neben ihr. Schwarze Augen schenkten ihr einen kalkulierenden Blick.
    Sie erkannte die Augen. Sie hatte diesen Blick geliebt. Er war ihr so menschlich vorgekommen.
    Doch jetzt war er knopfäugig und abschätzend.
    Der Vogel hüpfte ihr auf den Bauch, und sie schrie vor Schreck auf. Das störte ihn wenig. Er flatterte nur kurz auf und landete dann neben ihrem Kopf. Sein spitzer Schnabel erschien riesig direkt neben ihren verwundbaren Augen.
    Sie versuchte, ihre Schultern vom Boden anzuheben. Es fühlte sich an, als versuchte sie, einen Amboss zu stemmen. War sie schwerer geworden oder schwächer?
    „Fort! Verschwinde! Mach, dass du wegkommst!“, zischte sie und schlug mit den Armen um sich.
    Ihre Bewegung ging in einer Wolke schwarzer Federn unter, die mit einem Mal auf sie heruntersank. Der gesamte Rabenschwarm bedeckte ihren Körper. Scharfe Krallen durchdrangen ihre Kleidung wie kleine Nadeln, als unzählige Vogelfüße ihr über den Körper hüpften, um sich in Position zu bringen.
    Sie schrie. Einige Vögel flogen kurz auf, kamen jedoch gleich zurück und gruppierten sich neu auf ihr und um sie herum. Schwarze Schwingen öffneten sich wie Schirme, die den Regen abhalten wollten.
    Doch sie blickte in die schwarzen Glitzeraugen und brachte es nicht über sich, darauf zu vertrauen, dass die Absicht, die dahinter lag, freundlich war.
    Sie benahmen sich nicht wie Vögel. Selbst wenn sie ein Leichnam wäre, würden sie sie doch nicht so flächendeckend einhüllen.
    Würden sie nun anfangen, ihr das Fleisch von den Knochen zu picken? Worauf warteten sie nur? Hofften sie, dass sie endlich sterben würde? Raben waren Aasfresser. Und sie war am Leben.
    Noch.
    Immer noch am Leben.
    So gar nicht tot.
    Wenn sie jetzt genauer darüber nachdachte, wollte sie es auch gar nicht mehr sein. All ihre Grübeleien über das Verschwinden im Nichts taten genau das – sie verschwanden im Nichts. Sie weigerte sich, eine Mahlzeit zu sein, genau wie sie sich geweigert hatte, nur ein Opfer zu sein.
    Sie begann sich zu wehren. Doch es waren ihrer so viele. Sie waren Legion. Kaum hatte sie einen verscheucht, saß da schon der nächste.
    Bislang hatte ihr noch keiner ins Fleisch gehackt. Sie war unverletzt. Sie musste es nur schaffen, aufzustehen und sie loszuwerden.
    Sollte sie einen der Vögel packen und ihm den Hals umdrehen? Würde das die anderen verjagen?
    Sie versuchte, sich auf die Seite zu drehen, und die Decke aus Vögeln gruppierte sich nur um und blieb auf ihr sitzen. Sie rollte sich auf den Bauch, und schon saßen sie ihr auf dem Rücken. Jetzt konnte sie nicht einmal mehr sehen, was sie taten.
    Sie stemmte sich auf den Ellenbogen hoch. Das schien sie zu verärgern. Sie krächzten Protest.
    Mit einem Mal waren sie ganz still. Ein Kutschwagen näherte sich, man konnte ihn hören. Die Straße konnte nicht weit sein. Wenn sie jetzt schrie, würden Menschen ihr zu Hilfe eilen.
    Ja. Sie würde schreien. Sie holte tief Luft.
    „Ich wüsste zu gern, wo die Hexe abgeblieben ist“, sagte eine sehr weiche Stimme, die ihr unbekannt war. „Es ist zu ärgerlich, wie du ein ums andere Mal versagst, Bruder Marcus! Wie konnte sie dir nur entkommen?“
    „Es tut mir sehr leid, Hochwürden“, antwortete ein anderer. Diese Stimme erkannte sie. Seine Drohungen hatten sich in ihrer Erinnerung festgeschrieben. Diesmal klang der Mann entschuldigend.
    Die Männer sprachen über sie. Sie war die Hexe. Sie hatten sie verloren, als die Kugel auf sie zugeflogen war.
    Nun besaß sie auch noch die Frechheit, überlebt zu haben. Zumindest bis eben.
    Sie zwang sich zu absoluter Stille, rührte sich nicht. Auch die Vögel rührten

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