Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
verlieren“. Die Kreatur zog ein Krummschwert aus der Scheide, schwang es – und verschwand, als ob etwas Dringenderes sie abberufen hätte. Nur ihre wütende Ausstrahlung schien noch eine Weile in der Luft stehen zu bleiben.
Gütze atmete erleichtert auf, sah sich jedoch gleichzeitig vorsichtig um. Es gab keinen Grund anzunehmen, der Angreifer könnte nicht genauso schnell wieder auftauchen, wie er verschwunden war.
Doch er war fort. Mit gezogener Waffe mitten im Schwung.
Gütze fragte sich, wer wohl den zweiten Teil dieses Angriffs abbekommen würde.
Jeder war recht, solange es nicht er selbst war.
Er zog das Gör zu sich her. Sie wehrte sich, und er gab ihr ein paar Backpfeifen.
„Still!“
„Tante! Hilf mir!“, rief sie. Niemand kam, und Gütze wäre auch ein ganzer Trupp Tanten egal gewesen.
Doch schien etwas zu geschehen. So wie zuvor verwirbelte die Wirklichkeit und öffnete sich . Diesmal gab Gütze gut Acht, dass er die Kleine nicht einen Augenblick lang losließ.
Nicht einmal, als sie plötzlich fielen.
Äste streiften sie schmerzhaft auf dem Weg nach unten. Vögel flogen auf, große Raben, die am Boden gehockt hatten. Sie flatterten nervös, als würden sie ihm eher ungern Platz machen, doch sein Schwung und Gewicht zwangen sie dazu.
Er ließ das Mädchen nicht los, als er auf dem Boden aufschlug. Selbst als er sah, wo er gelandet war, ließ er nicht los. Sie war sein Eigentum.
Genauso wie das andere Mädchen, das hier im Hemd unter dem Baum gehockt hatte. Er hatte es gefunden. Geradeso, wie man es ihm aufgetragen hatte.
Die göttliche Fügung schien tatsächlich auf seiner Seite zu sein. Gut. Es wurde auch langsam verdammt noch mal Zeit.
Kapitel 46
K onstanze spürte das Gewicht der Vögel auf ihrem Rücken, ihren Beinen, sogar auf ihrem Kopf und fragte sich, wie das wohl aussehen mochte – ein Haufen Federn, der sich zu einem Sargkissen formte? Oder ein Schwarm von Aasfressern, die gerade eine Leiche verspeisten?
Ihr Magen grummelte, und sie hatte den Eindruck, das Bauchgeräusch hallte durchs ganze Tal. Ganz sicher hatten die Mönche es vernommen.
„Was war das?“, fragte die sanfte Stimme, die nur ein paar Meter entfernt zu sein schien.
„Klang wie ein Wolf.“
„Unser Wolf? Die Teufelskreatur?“
Stille. Konstanze hätte gerne gesehen, was gerade geschah, doch ihre Welt war nur schwarz vor lauter Raben.
„Wenn das der Wolf ist, müssen wir ihn fangen.“
„Er ist auf der anderen Seite der Straße. In welche Richtung soll ich denn nun forschen?“ Die Frage klang ein wenig schnippisch, als ob der Fragesteller sich von einem unerfüllbaren Befehl überfordert fühlte.
„Natürlich in beide!“ Die Silberstimme klang s üß wie Honig.
„Es tut mir leid, das ist nicht … möglich. Selbst ich kann mich nicht in zwei Hälften zerteilen.“
Die Stille war voller übler Emotionen. Konstanze konnte sie spüren wie Gift.
„Sie sollten auf keinen Fall Ihre nächste Beichte versäumen, Bruder. Ich nehme an Ihnen die Art von Hochmut wahr, auf die unabänderlich der Fall folgt. Sie sind hier, um einem guten Zweck zu dienen, und nicht, um Dinge zu tun, wenn sie Ihnen leicht fallen, und zu lassen, wenn sie Ihnen Schwierigkeiten bereiten.“
Wieder entstand eine Pause, und Konstanze merkte, dass sie eine ganze Weile die Luft angehalten hatte. Jetzt musste sie dringend atmen, doch sie befürchtete, ihr heftiges Nach-Luft-Schnappen würde die Männer auf sie aufmerksam machen. Im Moment hatte sie nur eine fünfzigprozentige Chance, dass die Kerle dem Wolf folgen würden, anstatt den Grund für den seltsamen Eindruck des Magiebegabten zu ergründen – nämlich sie unter einer Decke von abnormalen Raben.
Sie holte ganz vorsichtig Luft. Ihr Atem war so zittrig wie ihr Körper, beide von Angst zerrissen. Die Vögel rochen nach Tod.
Sie unterdrückte ein Schluchzen. Weinen war eine zu deutliche Anwandlung und zudem nicht geräuschlos. Man würde sie hören. Dann würde man sie holen.
Jeder schien darauf aus, ihr wehzutun. Und sie war so allein. Sie hatte kein Zuhause, keine Familie, keine Freunde, die sie um Hilfe bitten konnte. Nicht einmal der ruppige Held des gestrigen Abends war noch da. Er hatte sich so verlässlich angefühlt. So solide und unbeugsam, dass man auf ihn bauen mochte, wie auf einen Felsen im Sturm. „Der Wolf befindet sich zu unserer Linken. Kein sehr natürlicher Canis Lupus. Er ist sehr nah. Vielleicht ist er ja dumm genug, uns zu folgen. Oder eben diese
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