Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)
blickte zum Tier und fand dasselbe Dilemma in dessen Augen. Es wusste ebenso wenig, was es mit ihr machen sollte, wie der Magier wusste, was mit ihm zu tun sei. Die unheimlichen Augen starrten sie an, und der Ausdruck darin änderte sich fortwährend, war einmal nur besitzergreifend, dann wieder heißhungrig. Mal schien der Blick fast intelligent, dann trübte er ein und wurde animalisch.
Sicher bildete sie sich das nur ein.
Das Ungeheuer blickte zum Magier, und das Knurren wurde intensiver. Es erkannte sehr wohl, wer hier der Feind war. Wenn es ihn jetzt angriff, würde er schießen. Immer vorausgesetzt, er war schnell genug.
Konstanze hätte am liebsten geschrien. Die Zeit stand still.
Sie nahm den Magier und das Monster wahr, die sich wie zwei versteinerte Statuen anstarrten. Das Knurren wurde immer tiefer, bis sie es fast mehr in ihren Knochen als in ihren Ohren spüren konnte. Weiter und weiter schienen die Augen des Zauberers zu werden, als ob gigantisches Erstaunen durch ihn sank wie durch Melasse.
Nichts bewegte sich außer den Strahlen fahlen Tageslichts, die in den Unterstand fielen. Eben noch grau und glanzlos, schienen diese auf einmal zu flackern.
„Schießen Sie!“, wollte Konstanze rufen, doch ihre Lippen bewegten sich so langsam, als hätte eine widrige Macht sie versiegelt. Der Klang in ihrer Kehle lag im Bassbereich und vielleicht sogar noch tiefer. Ihr Zwerchfell erschauerte unter dem Ton.
Was zum Teufel hatte der verflixte Zauberkünstler nur gemacht?
Doch er schien so hilflos und entgeistert wie sie selbst. Auch der Wolf begriff anscheinend nichts.
Die Welt hatte ein Loch. Es war winzig, kaum sichtbar.
Das Bewusstsein drohender Gefahr, das durch Konstanze schoss, war so heftig, dass sich ihr Magen zusammenkrampfte. Während sie noch versuchte, irgendetwas zu begreifen, begann der Wolf zu heulen. Er hob seinen Kopf unendlich langsam und jaulte mit tiefer Bassstimme, als wäre er getroffen.
Doch es hatte keinen Schuss gegeben. Der Magier wartete immer noch ab.
Sie sah zu ihm hoch. Ihm stand der Mund offen. Seine Augen waren weit aufgerissen vor Überraschung und Misstrauen. Konstanze blickte auf seine Hand. Er schien ganz vergessen zu haben, dass er eine tödliche Waffe darin hielt. Auch zeigte die Pistole schon nicht mehr auf den Wolf. Der Lauf der Waffe schwankte mit den Bewegungen der Hände. Eine Kugel konnte nun alles Mögliche treffen, auch Konstanze. Es war gerade einen Tag her, dass der letzte Mann auf sie geschossen hatte. Wenn alles mit rechten Dingen zugegangen wäre, wäre sie bereits damals gestorben.
Nur lebte sie noch. Versuchte das Schicksal, diesen Logikfehler wieder auszubügeln?
Sie erkannte nun das Gefühl von Entsetzen. Genau das hatte sie schon einmal gespürt, doch sie war zu abgelenkt gewesen, um es genauer zu analysieren. Die Welt öffnete sich wieder. Diesmal riss sie unendlich langsam auf.
Ein Knopfloch voller Andersartigkeit erblühte und wuchs wie eine wuchernde Wunde. Die Welt des toten Soldaten war nah. Die Welt, in der sie zum ersten Mal geliebt hatte; wunderbar und fruchtbar war es gewesen, hatte alle ihre Erwartungen, aber auch alle ihre Ängste übertroffen.
Sie war nicht bereit, den Mann noch einmal zu treffen, der ihre Liebe in sich aufgenommen hatte wie ein Festmahl und mit der Brutalität eines Straßenräubers.
Und was war mit dem Wolf los? Er gebärdete sich fast wahnsinnig, war mit allen vier Füßen auf sie gesprungen. Speichel sprühte ihm tollwütig vom Maul.
Nun bewegte sich der Magier doch noch. Er hob die Waffe, als ob er sich eben daran erinnerte, dass er sie noch hatte. Er zielte, blickte direkt in die Silberaugen des Wolfes.
Jetzt würde er schießen.
Konstanze schrie, als eine einzelne schwarze Feder aus dem Loch in der Welt herunterdriftete. Sie kreiselte auf sie und den Wolf zu. Gleich würde sie sie berühren.
Kapitel 58
K arreg stand neben seinem Baum. Er atmete sehr bewusst ein und aus. Diese Situation erforderte tiefes Durchatmen, und sei es nur, weil er so wenig wusste, was jetzt zu tun war, dass die Welt ihm völlig fremd erschien.
Freilich war die Welt immer fremd für jemanden, der seine Zugehörigkeit dazu nicht definieren konnte und der es schon längst hätte aufgeben sollen, sein zerborstenes Schicksal wieder zusammenzufügen und ein Leben daraus zu formen. Der Tod mochte auch eine Lösung sein. Doch er wusste ja noch nicht einmal, wie unsterblich er war. Und letztendlich sehnte er sich nach Leben und nicht
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