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Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition)

Titel: Schwingen aus Stein: origin - Preisgekrönt und aufregend anders (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ju Honisch
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nach dem Tod.
    Er sollte jetzt irgendetwas tun.
    Leider reichte die Klarheit nicht so weit, dass er wusste, was zu tun war. Es gab Kenntnisse, die er haben sollte, die ihn jedoch so lange schon mieden und nichts taten, als ihn mit der Erinnerung zu quälen, dass er einmal weise gewesen war. Bisweilen wusste er, dass es mehr zu wissen gab. Doch er verstand nie zur Gänze, was ihm genau fehlte. Nur dass etwas fehlte und er dieses Dilemma lösen musste, um an das zu kommen, was einst sein gewesen war.
    Er wusste immerhin um seine Schuld. Jedenfalls der Teil von ihm, der all dies ausgelöst hatte. Der andere Teil, der ihm und somit sich selbst zum Opfer gefallen war, wusste wenig davon. Der Hass auf sich selbst, auf seine jeweils andere Hälfte fraß ihn dabei so sehr auf wie die Schuld, solch einen Hass auf sich geladen zu haben.
    Wieder und wieder hatte er versucht, der sturen Unausweichlichkeit zu entgehen. Wie viele Jahre? Er wusste es nicht einmal mehr. Zeit floss wie ein Fluss an ihm vorbei. Jahreszeiten kamen und gingen.
    Er hatte so sehr gehofft, dass es ihm diesmal gelingen würde, die Ereignisse in die richtigen Bahnen zu lenken. Doch das Wie blieb ihm wieder unklar. Alles, was er hatte, waren unzusammenhängende Fetzen von nutzlosem Magierwissen, ein animalischer Instinkt, der ihm Details anzeigte, ohne ihm ein Gesamtbild zu vermitteln, und der Schatten einer Feyon-Welt, die ihm gänzlich verschlossen war.
    Ein Wahnsinniger mochte die Welt so sehen, wie er sie sah. Tatsächlich war er zum Teil sicher wahnsinnig, doch das war nicht alles, was er war. Er vereinte in sich zu viele unterschiedliche Aspekte des Seins. Wahnsinn war letztlich nur eine dumme menschliche Definition dessen, was anders war als das Benehmen, das man erwartete, oder die Weltsicht, auf die man sich geeinigt hatte.
    Der Baum blieb ihm verschlossen. In gewisser Weise war er immer noch seine Heimat, weil Bäume Vögeln Heimat gewährten. Doch es hatte eine Zeit gegeben, in der die Zugehörigkeit zu diesem Baum nicht nur bedeutet hatte, unter ihm oder auf seinen Ästen zu sitzen.
    Doch er hatte auch geliebt, fast wie ein Mensch, wie ein richtiger Mann. Schließlich war er das gewesen, und war es zum Teil noch.
    Die blonde Frau kam ihm in den Sinn. Konstanze. So ein passender Name für einen Menschen, der so konstant und zuverlässig seine Ziele verfolgte. Er hatte ihr nicht wehtun wollen, im Gegenteil. Beinahe hatte er sie geliebt und hatte jene Gefühle neu erlebt, die er vor einigen Sommern gespürt hatte. Die Emotionen hatten sich sehr vertraut angefühlt, seine eigenen ebenso wie – und das war beinahe beunruhigend – ihre. Doch dann hatte die Welt sich immer wieder verändert, und weil er Teil von ihr war, hatte er sich mit ihr transformiert.
    Sie war eine mutige Frau. Einen Teil ihres Mutes spürte er jetzt in sich, Kraft, die er ihr genommen hatte, weil er sie brauchte. Er wünschte, er hätte das nicht tun müssen. Doch er hatte nie die Wahl, egal was er tat. Das Vermögen zu wählen war ihm abhandengekommen, als er sich damals für das Unaussprechliche entschieden hatte. Er hatte es gewählt.
    Er hasste jede Faser seines Seins dafür und ebenso seine Hilflosigkeit, mit der er neben seinem eigenen Baum stand, unfähig, sich auch nur so weit zu konzentrieren, dass er sich entscheiden konnte, was nun zu tun sei.
    Der Fuß, der aus der Rinde hervorlugte, wirkte wie ein gebrochener Knochen, der aus einem verletzten Bein stak. Doch er war heil. Das immerhin wusste Karreg. Er wusste auch ganz genau, wer da in dem Baum war: ein Mensch, den das Böse antrieb, ein Kind, das alsbald von seiner Tante eingefordert werden würde, und schließlich das Kind, auf das er seine Hoffnung gebaut hatte.
    Eine grauenhafte Kombination.
    Er hätte besser auf sie Acht geben müssen. Wäre er ein wirklicher Mensch, so wäre ihm die Rolle des beschützenden Anverwandten vielleicht leichter angekommen. Doch Raben waren nun einmal Rabeneltern.
    Er umkreiste den Baum vorsichtig. Er musste das Mädchen freibekommen. Sie war Teil der Antwort, die er brauchte, Teil der Frage, die er der Welt gestellt hatte. Er hatte sie gerettet. Sie war da, um ihn aus seinem Dilemma zu retten.
    Er brauchte sie. Sie gehörte zu ihm. Er würde den Kerl umbringen, der eine sich anzeichnende Lösung in ein neues Unglück verwandelt hatte. Er würde ihm die Augen auspicken und seinen Schnabel in sein Fleisch hacken.
    Er atmete tief ein. Es half nicht, ein Rabe zu sein. Doch ein Mensch zu

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