Schwingen der Nacht
Rippen.
Clair schluckte. Er hatte jedes Bild in vier Ausschnitte unterteilt und dann jeden Ausschnitt vergrößert. Wenn man die Ausdrucke nun aneinanderlegte, hatte ihr splitternackter Körper die Größe eines Posters.
Es schien alles immer noch schlimmer zu werden.
Aber als Alec nun zu Dane ging, warf er ihr nur einen flüchtigen Blick zu – anscheinend hatte er sie also doch noch nicht wiedererkannt.
Ein paar Minuten lang hatte Clair das Gefühl, sterben zu müssen, bis ihr klar wurde, dass Dane sie offensichtlich auch nicht erkannt hatte. Niemand kam aus dem Büro gestürmt. Es gab keine Heiterkeitsausbrüche, keine anklagenden Blicke. Wahrscheinlich waren die beiden Männer zu beschäftigt damit, die Detailaufnahmen der Fotos anzuschauen.
Und sie hatte Dane und Alec immer für besonders scharfsinnig gehalten. War sie denn unsichtbar?
Clair nahm ihre Schildpatt-Brille ab und betrachtete sie nachdenklich. War ihre Brille vielleicht wie bei Clark Kent eine geniale Verkleidung, die ihre Anonymität sicherstellte?
Die Tür ging auf, und Clair setzte hastig die Brille wieder auf. Beinahe hätte sie sich dabei ins Auge gestochen. Ihr Gesicht brannte. Wenn ihr noch öfter die Hitze in die Wangen schoss, wäre sie vermutlich bald dauerhaft verbrüht.
Beide Männer blickten sie mit erwartungsvollen Mienen an.
O nein.
Clair schrumpfte innerlich zusammen. “Und? Hast du schon Fortschritte gemacht?”, erkundigte Dane sich.
Genau genommen hatte sie noch nicht einmal angefangen. “Oh. Äh … nein. Noch nicht. Ich suche weiter.”
“Danke.” Damit gingen Dane und Alec zur Tür.
“Wohin wollt ihr?” In einem Anfall von Panik sprang Clair auf und folgte den beiden. Ganz bestimmt hatten sie vor, die Bilder
jetzt
herumzuzeigen.
Alec verlangsamte nicht einmal seine Schritte. “Ich muss ins Gericht. Schon vergessen?”
“Oh … ja.”
Dane hielt inne. “Ich bin auf der Suche nach einem Vermissten.” Er blieb stehen und sah sie besorgt an. “Bist du dir sicher, dass alles in Ordnung ist, Clair?”
Mussten sie ihr immer wieder diese Frage stellen? “Natürlich. Es war mir nur entfallen. Das ist alles.” Zögerlich fragte sie: “Was ist mit den Fotos?”
“Harris ist sehr ungeduldig. Aber wir werden es erst eine oder zwei Wochen so probieren, ehe wir sie irgendjemandem zeigen.”
Danke, danke, danke.
“Ich glaube, das wäre das Beste.” Sie konnte sich nicht verbeißen, hinzuzufügen: “Könnt ihr euch vorstellen, wie peinlich es der Frau wäre, wenn sie herausfinden würde, dass ihr die Bilder herumgezeigt habt?”
Auf seinem Weg nach draußen lachte Dane und zeigte mit dem Finger auf sie. “Ein guter Grund, niemals nackt vor einer Kamera zu posieren, oder?”
Oder sich mit einem Fotografen einzulassen, der eine hinterhältige Ader und keinerlei Charakterstärke besaß. Clair stöhnte. Nachdem sie nun allein war, rannte sie in Danes Büro – und blieb entsetzt stehen. Sie presste eine Faust an ihren Mund. Die Männer hatten die Fotos an eine Tafel geheftet. Natürlich zusammengesetzt.
Adrenalin schoss durch ihre Adern. Hastig lief sie zu der Tafel. Clair brauchte nur dreißig Sekunden, um alle Fotos herunterzureißen und unter einem Stapel Akten zu verstecken. Sie wagte es jedoch nicht, die Bilder zu zerstören. Das wäre zu verdächtig gewesen. Und darüber hinaus auch vollkommen sinnlos. Sie hätten einfach neue Ausdrucke angefertigt.
Sie schleppte sich zu ihrem Schreibtisch zurück und ließ sich in den Sessel fallen. Dort saß sie, das Gesicht in den Händen vergraben, ihr Magen in Aufruhr. Früher oder später würden sie herausfinden, dass sie die Frau auf den Fotos war – und sie würde die Flucht ergreifen und in die Äußere Mongolei ziehen müssen.
Es sei denn …
Sie schluckte und versuchte, trotz ihrer Scham einen klaren Gedanken zu fassen. Es war nicht leicht, doch sie bemühte sich, die Situation ganz nüchtern zu betrachten.
Einerseits hatte Alec behauptet, Harris sei bezaubert. Und Harris schien von seiner “geheimnisvollen Verehrerin” ganz besessen zu sein. Sie selbst war schon seit Ewigkeiten von Harris besessen, aber er hatte nie körperliches Interesse an ihr gezeigt. Und sie war zu stolz, um sich ihm aufzudrängen. Also waren sie Freunde. Clair wusste, dass er sie als Mensch schätzte, doch sie hatte angenommen, dass er sie “in dieser Beziehung” nicht attraktiv fand.
Aber angesichts des hingerissenen Ausdrucks, der beim Anblick der Fotos auf seinem Gesicht
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