Schwingen der Nacht
ihren geschmeidigen Bewegungen zuzusehen, machte Harris verrückt. Sie war wirklich gelenkig. Komisch, dass ihm das vorher noch nie aufgefallen war.
Clair richtete sich auf. Mit ihren großen grünen Augen, die durch die Brille noch größer wirkten, sah sie ihn an. “Ich hab schon mal Kontaktlinsen ausprobiert, aber sie haben mich gestört. Ich glaube, meine Augen sind zu empfindlich. Und im Übrigen mag ich es, verschiedene Brillen zu tragen.”
“Das habe ich bemerkt.” Heute Abend trug sie ein rotes Modell, das einen starken Kontrast zu ihren weißen Shorts und dem Trägerhemdchen bildete. Was ihr an Schmuck fehlte, machte sie durch ihre Brillen wieder wett.
“Ich habe ungefähr so viele unterschiedliche Brillen wie BHs.”
Überrascht blickte Harris sie an. BHs? Warum zum Teufel musste sie ihre Unterwäsche erwähnen? Sein verwirrtes Hirn beschwor eine Reihe von Bildern herauf: Clair in etwas Weißem aus Spitze. Clair in etwas Schwarzem, Verführerischem. Clair in einem Hauch von nichts.
Clair in seinem Bett.
“Fertig?”, wiederholte sie.
Oh ja, er war bereit. Für alles Mögliche. Sein Blick wanderte zu ihren Brüsten, doch er konnte keine verräterischen Spuren von Spitze unter ihrem Hemdchen erkennen. “Wie viele BHs hast du denn?”
Lachend schüttelte Clair den Kopf und joggte gemächlich los. Harris folgte zwei Schritte hinter ihr. “Was ist das hier? Ein Quiz?”, fragte sie.
“Mir ist nur aufgefallen, dass ich dich gar nicht so gut kenne.” Er versuchte es, aber er schien seinen Blick nicht von ihrem Po losreißen zu können. Tänzelte sie ein bisschen? Schwang sie ihre Hüften ein wenig aufreizender, als nötig gewesen wäre?
Clair drehte sich um und lief ein paar Schritte rückwärts. Damit befreite sie ihn von seiner Vertieftheit in den Anblick ihres Pos. Stirnrunzelnd sah sie ihn an. “Du kennst mich besser als die meisten anderen Menschen.”
“Ich wusste nicht mal, dass du einen Freund hattest.” Genugtuung durchströmte Harris, als er darauf verwies.
Sie wandte ihm wieder den Rücken zu und lief etwas schneller. “Was hast du denn geglaubt, Harris? Dass ich noch Jungfrau bin? Eine Nonne? Ein Misanthrop?”
“Ein Misan… was?” Harris zog sein Tempo an, um mit ihr Schritt zu halten.
“Ein Misanthrop. Jemand, der Menschen hasst.”
“Nein.” Wenigstens einer Sache war er sich sicher. “Du magst mich, und ich bin ein Mensch. Und ein Mann.”
Über ihre Schulter hinweg lächelte sie ihn an. Es war ein Lächeln, wie er es an Clair noch nie gesehen hatte. “Das bist du.”
Harris riss die Augen auf. Flirtete sie gerade mit ihm? Wusste Clair überhaupt, wie man flirtete? Sogar ihre Stimme klang anders – irgendwie weich und verspielt. Er holte sie ein. “Also, wer war dieser Freund?”
“Niemand von Bedeutung.” Sie hatten ihr Tempo gefunden. In perfekter Harmonie liefen sie die Straße entlang. “Nur ein Typ, den ich mal kannte und der mir nett und interessant genug erschien, um Zeit mit ihm zu verbringen.”
“Es war nichts Ernstes für dich?”
Sie schnaubte verächtlich und gab Harris damit die Antwort, die er wissen musste –
warum
er diese Antwort allerdings wissen musste, konnte er nicht sagen.
Schweigend joggten sie nebeneinanderher, an dem dunklen, stillen Park vorbei, durch leer gefegte Straßen, wo alte Häuser in majestätischer Pracht standen, und schließlich über den Damm am Ohio River, an den sich ein Betonweg schmiegte.
Ihre Bewegungen waren fließend und im Einklang miteinander. Zusammen hatten sie einen vollendeten Rhythmus gefunden. Harris stöhnte unterdrückt auf. Er konnte sich vorstellen, wie er im Bett das Tempo angab und wie mühelos Clair Schritt halten würde.
“Also, wie viele BHs hast du denn nun?”
Ihr Lachen wurde vom Abendwind davongetragen. “Mindestens einen für jeden Tag der Woche.”
Er dachte darüber nach. “Für jeden Tag einen besonderen?”
“Nein, nur eine Auswahl. Verschiedene Farben, verschiedene Stoffe.”
Wie französische Spitze oder eng anliegendes Nylon oder vielleicht … “Was trägst du heute Abend?”
“Wir joggen und schwitzen. Also schlichte, bequeme weiße Baumwolle.”
Wenn er sich den Baumwollstoff an Clairs Körper so vorstellte, kam ihm das Material plötzlich gar nicht mehr “schlicht” vor. Er fragte sich gerade, ob sie zu dem BH ein passendes Höschen trug, als Clair langsamer wurde. Unvermittelt bog sie vom Gehweg ab, schlenderte durch das Gras und lehnte sich mit dem
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