Schwingen des Vergessens
nieder. Na dann, sie wollte ihr Leben weiter führen wie bisher, ob Damian irgendwann noch etwas daran ändern wollte, war dann ihm überlassen. Ein Lächeln huschte auf ihr Gesicht, als sie begann, in sich selbst zurück gezogen, bei ihrem Bild weiter zu zeichnen.
Als sie es jedoch zur Seite legte, erkannte sie klipp und klar Damian in ihrer Zeichnung. Sein spitzes Kinn, seine unheimlichen Augen, aber vor allem seine Haare, die auf dem ganzen Zettel verstreut schienen. Es war aber keine Absicht und auch ihre Mutter, die überhaupt keine Ahnung von Kunst hatte, könnte ganz bestimmt einen Jungen darin erkennen. Sie würde zwar nicht wissen, welcher es war, doch das wäre unmöglich. Mit zusammengedrückten Lippen knüllte Amelie die Zeichnung zusammen und warf sie rückwärts in den Müllkorb. Toll, jetzt war sie bereits so süchtig nach Damian, dass sie versehentlich ein perfektes Portrait von ihm gezeichnet hatte. Seufzend durchquerte sie ihr Zimmer, um unten nach ihrer Mutter zu sehen, die mittlerweile da sein musste. Unten herrschte Stille, ihre Schuhe standen allerdings bereits in der Garderobe, sauber nebeneinander, gleich wie der Rest des Hauses.
„Mama! Wo bist du? Carooo?“, rief sie nervös herum, Karoline musste tatsächlich längst zu Hause sein, schon alleine deswegen, weil alle Geschäfte geschlossen hatten. Leise stieß sie die nur angelehnte Tür zum Elternschlafzimmer auf und erschrak. Eine zusammen gekrümmte Gestalt lag auf der gefalteten Decke, die Haare standen wirr in alle Seiten ab. Caro lag da! Amelie brachte keinen Laut hervor, als ihre Mutter mühsam den Kopf hob.
„Amy, du bist es. Geht’s dir gut?“, fragte sie und richtete sich leicht verwirrt auf. Hektisch suchte sie mit den Augen den Raum nach weiteren Personen ab, doch da war nur ihre Tochter die sie starr anblickte.
„Das ist doch ganz egal, ob es mir gut geht. Warum liegst du hier? Hast du geweint? Was ist los?“, rief sie empört, was war an ihrer Stimmung in so einem Moment denn schon wichtig?
„Es ist schon gut, ich bin nur etwas verwirrt…und traurig, aber das ist jetzt egal. Hast du Hunger? Ich kann uns Essen machen, Papa kommt erst später.“ Blinzelnd stolperte sie auf Amelie zu, sie hatte die Arme von sich gestreckt, denn sonst wäre sie wahrscheinlich auf Anhieb umgekippt. Ohne ihre Mutter durchzulassen, schnappte sie sich ihre Hand und brachte Caro sanft zurück ins Bett, wo sie sofort wieder zusammen klappte.
„Erzähl mir bitte was los ist. Geht es um mich?“ Das Mädchen wusste ganz genau, dass es um sie ging und um was genau. Karoline nickte zögernd und schlang die Arme um die angezogenen Beine.
„Es geht um dich, aber es ist nicht wichtig. Wirklich nicht“, stotterte sie leise und verbarg ihren Kopf vor den Händen.
„Sag mir nicht, dass ich nicht wichtig bin, ich bin schließlich deine Tochter. Wenn es um mich geht, habe ich ein Recht, es zu erfahren. Fangen wir damit an, wo du warst.“
„Ich war einkaufen, hast du den Zettel nicht gelesen?“
„Mama, am Sonntag haben alle Geschäfte zu, da kann auch dein guter Wille daran nichts ändern.“ Karoline nickte zögernd und stieß pfeifend die Luft aus.
„Versprichst du mir, nicht böse zu sein?“ Schluckend nickte Amelie, es konnte nicht wahr sein. Tränen traten ihr in die Augen, ließen ihren Blick verschwimmen, die Umgebung bestand nur mehr aus Schatten, schwarzen Schatten. „Ich war bei… Du warst bei der Wahrsagerin, nicht wahr? Was sie gesagt hat, es stimmt alles. Sie hat Recht…“ Das Mädchen schluckte und senkte verzweifelt den Kopf. Die ganze Zeit war Caro also nicht ihre Mutter? Unmöglich, das konnte nicht wahr sein. Sie musste lügen, scherzen oder einfach nicht bei der Sache sein, aber die Wahrheit durfte es schlicht und einfach nicht sein.
„Du lügst. Das kann nicht sein, du… du bist meine Mutter, niemand anderes“, brachte sie zaghaft hervor und senkte den Kopf. Literweise Tränen tropften in ihre ausgestreckten Arme, der weiße Bettbezug färbte sich dunkler, wahrscheinlich wegen der Wimperntusche. Schluchzend schüttelte sie den Kopf und schlug die Hände vors Gesicht. „Das kann nicht sein, du lügst, bitte sag, dass das ein Scherz ist. Bitte sag es.“ Langsam hob Amelie den Kopf und blickte die Frau vor ihr an. Auf einmal schien sie ihr so fremd, die ganze Zeit lebte ihre Mutter woanders und sie hatte ihr nichts gesagt. Sie hatte einfach normal weitergelebt, während sie selbst im Ungewissen blieb.
„Es
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