Schwur der Sünderin
kommen würde. Wenn ich wüsste, in welchem Flügel sich das Verlies befindet, überlegte er, als ihm ein alter Mann mit einem Eimer entgegenschlurfte. Bei jedem Schritt schwappte das Wasser über, sodass eine feuchte Spur auf dem Steinboden entstand. Als der Alte neben ihm war, fragte Hauser leise: »Kannst du mir sagen, wo sich hier der Kerker befindet?«
Der Mann stellte den Eimer ab und kam dicht an ihn heran, um ihn aus trüben Augen kritisch zu mustern. »Ich habe dich hier noch nie gesehen«, sagte er misstrauisch. »Was willst du im Kerker?«
Hauser überlegte, was er antworten solle, als der Alte ihm vorschlug: »Wenn du den Eimer trägst, werde ich dir den Kerker zeigen, denn ich bin der Wächter des Verlieses.«
Hauser nahm den Wassereimer auf und folgte dem langsamen Schritt des Alten, der ihn durch weitere Gänge führte, bis sie vor einer schweren dunklen Holztür standen, die der Mann mit einem Schlüssel öffnete. Hauser schlugen eisige Kälte und übler Geruch entgegen. Vorsichtig stiegen die beiden Männer die feuchten Treppenstufen nach unten.
»Was für ein Gestank«, stöhnte Hauser, als sie unten ankamen.
»Ich rieche ihn schon lange nicht mehr«, erklärte der Alte und wies in eine Ecke. »Hier kannst du den Eimer abstellen. Wenn du mir nicht geholfen hättest, wäre nicht mehr so viel Wasser drin«, lachte der Mann, als Schritte auf der Treppe zu hören waren.
»Versteck dich!«, wisperte der Alte und zeigte Hauser eine Nische im Gemäuer, die vollkommen im Dunkeln lag.
Kaum hatte sich Hauser in die feuchte Mauervertiefung gepresst, stand der Besucher im Kerker.
Ullein, dachte Hauser zornig und wäre am liebsten nach vorn gestürmt, um auf ihn loszugehen.
»Was willst du?«, fragte der Alte den ungebetenen Gast.
»Das geht dich nichts an!«, erklärte Ullein unwirsch und ging zur Kerkertür, wo er durch die kleine Luke linste. »Wann wird der Gefangene zur Tortur abgeholt?«, fragte er gehässig.
»Er ist mehr tot als lebendig. Warum ihn weiter quälen?«
»Kümmere dich um deinen eigenen Dreck«, schimpfte Ullein. »Mit einem Werwolf darf man nicht zimperlich sein«, zischte er und weidete sich an dem entsetzten Blick des Alten. »Das hat man dir wohl verschwiegen, da du jetzt so bestürzt dreinschaust«, sagte Ullein und grinste.
Doch der Alte schüttelte den Kopf. »Ich bin erschüttert, wie man solch einen Unfug erzählen kann. Tierverwandlungen sind Ammenmärchen«, erklärte der Mann und blickte Ullein fest in die Augen.
»Halt dein Maul, du Wicht!«, brüllte Ullein, sodass seine Stimme an den Wänden widerhallte. Zornig ging er einen Schritt auf den Mann zu.
»Warum drohst du mir? Ich habe keine Angst vor dir.«
»Ich werde dafür sorgen, dass man dich auf die Straße wirft, wo du elendig krepieren wirst.«
Auch diese Drohung ließ den Alten kalt. Stattdessen flüsterte er: »Ich hoffe, dass du vor dem Richter keinen Eid abgelegt hast, um deine Glaubwürdigkeit zu beweisen. Falls doch, werde ich für dich beten, dass Gott gnädig zu dir sein wird, wenn deine Zeit auf Erden zu Ende ist.«
Ullein wusste, worauf der Alte ansprach. Meineid galt als Todsünde und wurde mit ewigem Fegefeuer bestraft.
»Eines Tages bringe ich dich um«, zischte Ullein und rannte die Treppenstufen nach oben.
Als Hauser hörte, wie die schwere Tür krachend ins Schloss fiel, kam er aus seinem Versteck hervor. Nachdenklich betrachtete er den Alten, der vor der Verliestür stand und in die Zelle starrte.
»Du bist zu spät gekommen«, sagte der Kerkerwächter leise, ohne ihn anzusehen.
»Wie meinst du das?«
»Dein Freund wird nicht mehr lange leben!«, erklärte der Alte.
»Woher weißt du, dass ich ihn kenne?«, fragte Hauser verblüfft.
Der Mann wischte sich mit seinem zerlumpten Umhang über das Gesicht und erklärte: »Warum solltest du den Kerker aufsuchen wollen? Ich habe im Laufe meines Lebens viele Menschen kennengelernt. Mit der Zeit bekommt man ein Gespür für die guten, aber vor allem für die schlechten unter ihnen. Der eben war einer der übelsten Sorte, denn das Wort Gerechtigkeit ist ihm fremd. Du bist anders.« Der Kerkermeister blickte zurück in die Zelle.
»Lässt du mich zu ihm?«, fragte Hauser.
Der Mann nickte. Als er den Schlüssel von seinem Tisch holte, fragte er: »Schneit es draußen?«
»Nein, es regnet. Warum?«
»Meine Finger schmerzen. Vor allem die, die nicht mehr da sind«, sagte er und hielt Hauser grinsend die rechte Hand mit den drei Fingern in
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