Schwur der Sünderin
Kammertür aufgerissen, und Jakob stürmte aus seinem Schlafzimmer. »Wer hat hier geschrien?«, rief er und hielt den Knüppel in die Höhe, während Sarah hinter ihm mit einer Kerze den Gang erleuchtete. Entsetzt sah Jakob, wie Johann die Spitze seines Schwertes gegen Anna Marias Hals drückte.
»Bist du des Wahnsinns?«, brüllte Jakob. »Nimm sofort die Waffe von meiner Schwester.«
Johann ließ erschrocken das Schwert sinken, während Jakob seinen Knüppel zu Boden ließ, um Anna Maria zu umarmen.
»Ich habe gehört, wie jemand die Treppe heraufgeschlichen kam, und geglaubt, dass es Ullein wäre«, entschuldigte sich Johann und sah Anna Maria mürrisch an.
»Wie konnte ich ahnen, dass du in meiner Kammer schläfst?«, schimpfte sie und lehnte ihren Kopf gegen Jakobs Brust.
Peter und Annabelle, die durch den Lärm geweckt worden waren, drängten in den Raum. Überglücklich schloss Peter seine Schwester in die Arme. Als Anna Maria die schlanke Gestalt Annabelles erblickte, sah sie fragend auf, und die Schwägerin nickte. »Wir haben einen Sohn bekommen.«
»Annabelle hat ihn Peter-Matthias genannt«, verriet Peter stolz.
»Ich werde wohl nicht begrüßt?«, dröhnte eine Stimme auf dem Gang, woraufhin sich alle umdrehten.
»Vater«, stammelte Peter und umarmte ihn, während Jakob ihm die Hand entgegenstreckte.
»Wer ist der Fremde?«, brummte Joß und betrachtete Johann misstrauisch.
»Das ist Veits Bruder Johann«, erklärte Peter, und Johann reichte Joß die Hand.
»Wer hat hier geschrien?«, brüllte Hauser von der unteren Treppenstufe herauf.
»Beruhige dich. Es ist alles in Ordnung«, rief Peter ihm zu. »Wir sollten in die Küche gehen«, schlug er vor und betrachtete den Vater verschämt von der Seite.
Jacob Hauser, Joß Fritz und Else hatten sich nach dem langen Heimritt in die Küche gesetzt, als Anna Marias Schrei die Stille zerriss und der alte Hausherr sofort die Treppe hinaufgestürmt war. Nun kam er, gefolgt von seiner Familie, zurück und setzte sich neben Else an den Tisch.
Else blickte mit gemischten Gefühlen den fremden Menschen entgegen, die nacheinander die Küche betraten und sie überrascht musterten. Joß sah die Verwunderung in den Gesichtern seiner Söhne und ihrer Frauen und brummte: »Das ist die Else!«
Else versuchte, freundlich zu lächeln, was ihr schwerfiel, da ihre Unsicherheit sie hemmte.
Sie lehnen mich ab, dachte sie und wäre am liebsten sofort aufgebrochen, um nach Lehen zurückzugehen. Ihr Blick fiel auf Anna Maria, die ihr verschwörerisch zuzwinkerte. Und auch Hauser lächelte ihr aufmunternd zu.
Als Joß vor mehreren Tagen unverhofft auf ihrem Hof in Lehen erschienen war und Anna Maria mitteilte, dass er mit ihr zurück nach Mehlbach ginge, hatte Else befürchtet, dass sie allein zurückbleiben sollte – so wie in all den Jahren zuvor; zumal Joß keine Andeutungen machte, dass es dieses Mal anders sein würde. Else fragte ihn nicht. Es war Anna Maria gewesen, die ihrem Vater die entscheidende Frage stellte:
»Wirst du dein weiteres Leben in Lehen oder in Mehlbach verbringen?«
Ihr Vater hatte überrascht aufgeblickt und erklärt: »Meine
Zeit als Joß Fritz ist vorbei! Jüngere sollen meinen Platz einnehmen und das zu Ende bringen, was ich begonnen habe. Ich möchte meine letzten Jahre in Ruhe verbringen und werde deshalb in Mehlbach bleiben.«
Else hatte gemerkt, dass Joß es vermied, sie anzublicken, und sie hatte nichts gesagt. Sie kannte ihren Mann. Er würde sich durch nichts von seinem Plan abbringen lassen und auf niemanden Rücksicht nehmen. Das hatte er früher nicht getan und würde es bei seiner letzten wichtigen Entscheidung erst recht nicht zulassen.
Anna Maria hatte sich sichtlich über die Zukunftspläne des Vaters gefreut und spontan vorgeschlagen: »Else soll mitkommen!«
Joß und Hauser waren über diesen Wunsch ebenso erstaunt gewesen wie Else selbst. Doch Anna Maria schien es ernst zu sein, denn sie sagte: »Else ist deine Frau und gehört nach Mehlbach, Vater!«
»Deine Brüder werden nicht begeistert sein«, gab Joß zu bedenken.
Anna Maria hatte mit den Schultern gezuckt und gemeint: »Sie werden sich damit abfinden müssen.«
Joß war anzusehen, dass er grübelte und abzuwägen schien. Als Hauser schmunzelnd fragte: »Seit wann kümmerst du dich um die Meinung anderer?«, hatte er kurz seine Tochter angeblickt und dann Else gefragt:
»Was hältst du von Anna Marias Vorschlag?«
Bei dieser Frage glaubte Else,
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