Schwur der Sünderin
»Peter!«
Verlegen wischte sich Peter die Tränen fort, stand auf und versuchte zu lächeln. Annabelle kam auf ihn zu und schlang ihre zarten Arme um seinen Hals, dann drückte sie ihre Wange an seine. »Peter! Peter!«, flüsterte sie weinend. »Was machst du hier?«
Peter glaubte in ihren graublauen Augen Schmerz, aber auch Freude zu erkennen. Er strich ihr zärtlich über die Haare und erwiderte die Umarmung, wobei ihre wilde Lockenmähne ihn im Gesicht kitzelte. Mit einem tiefen Atemzug nahm er Annabelles Duft in sich auf, wobei sich ein Gefühl der Ruhe in ihm ausbreitete. In diesem Augenblick zweifelte er nicht mehr an seinem Entschluss.
Peter hielt Annabelle sachte von sich ab und betrachtete sie. Scheu sah er dabei auf ihren Bauch, dessen Wölbung man unter ihrem Kittel nur erahnen konnte. Offenbar beschämt, senkte sie den Blick.
»Geht es dir und dem Kind gut?«, fragte Peter und hob mit dem Zeigefinger ihr Kinn. Annabelle schaute ihn aus einem tränennassen und blassen Gesicht an. »So gut, wie es einer werdenden Mutter gehen kann, die ihrem Kind nie seinen Vater vorstellen kann«, flüsterte sie und strich sich über den Leib.
»Hauser hatte uns verraten, dass du …«, wollte Peter erklären, doch Annabelle fiel ihm ins Wort:
»Ich weiß! Er hat mir gebeichtet, dass er es euch erzählt hat, nachdem er von Frankenhausen zurückkam.« Sie schluckte heftig, und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen. »Habt ihr Matthias in Mehlbach beerdigt?«
Peter nickte und räusperte sich. »Er hat seine letzte Ruhestätte neben unserer Mutter erhalten.«
»Ich vermisse ihn so schrecklich«, wisperte Annabelle.
»Wir alle vermissen ihn«, sagte Peter ernst.
Annabelle wischte sich mit der Schürze die Tränen fort, setzte sich an den Tisch und versuchte Peter anzulächeln. »Erzähl mir, warum du hier bist. Der Bauernaufstand ist seit Frankenhausen so gut wie niedergeschlagen – falls du deshalb gekommen bist.«
Peter setzte sich zu ihr und ergriff flüchtig ihre Hand. »Glaube mir, ich habe genug gekämpft und will davon nichts mehr wissen. Ich bin wegen …«, Peter traute es kaum laut auszusprechen, »… wegen dir nach Mühlhausen gekommen.«
Kaum waren die Worte über seine Lippen gekommen, entzog Annabelle ihm ihre Hand und fragte verständnislos: »Wegen mir? Warum?«
»Kannst du dir das nicht denken?«
Annabelle schüttelte ihren Kopf.
»Ich möchte dich nach Mehlbach mitnehmen.«
Ihre Augen weiteten sich ungläubig. »Was soll ich in Mehlbach? Dort kenne ich niemanden.«
»Du kennst mich und auch Friedrich, der mich hierher begleitet hat. Sicher schläft er noch«, sagte Peter lachend, obwohl ihm nicht zum Spaßen zumute war.
»Ich verstehe dich nicht!«, erwiderte Annabelle ernst.
Peter hatte keine andere Wahl und erklärte: »Ich will dich heiraten.«
Annabelles Gesichtsfarbe wurde eine Spur blasser. Als sie begriff, was er gesagt hatte, röteten sich ihre Wangen vor Aufregung, und ihre Augen funkelten ihn wütend an. »Scherze nicht mit mir, Peter!«, sagte sie in scharfem und lautem Ton.
Mit Widerstand hatte Peter nicht gerechnet. Er hatte Dankbarkeit erwartet und musste sich zügeln, um nicht unfreundlich zu werden. Gönnerhaft lehnte er sich auf seinem Stuhl zurück und sagte mit ruhiger Stimme: »Du erwartest das Kind meines
Bruders, Annabelle. Es ist ein Hofmeister-Kind! Da ist es wohl richtig, dass ich dich heiraten muss.«
»Oh«, fauchte Annabelle, »niemand muss mich heiraten. Der einzige Mann, den ich gewollt habe, ist tot. Ich werde Matthias’ und mein Kind ohne dich und die Hofmeister-Familie großziehen. Schließlich bin ich nicht allein! Mein Vater wird mir zur Seite stehen.«
Peter wurde bewusst, dass er die Gelegenheit vertan hatte, Annabelle von der Aufrichtigkeit seiner Absicht zu überzeugen. Stattdessen hatte er durch seine plumpe Art ihren Zorn erregt. Er war wütend über sich selbst. Er wollte Annabelle besänftigen: »Es tut mir leid.« Weiter kam er nicht, denn mit hochrotem Gesicht und empörtem Blick verließ Annabelle die Küche.
Kaum war Annabelle draußen, öffnete sich die Tür erneut. Ihr Vater erschien und blaffte Peter an: »Was hast du meiner Tochter erzählt, dass sie weinend und wütend zugleich an mir vorbeigerannt ist?«
»Ich habe ihr einen Heiratsantrag gemacht«, antwortete Peter ehrlich.
Der Bader kniff daraufhin leicht die Augen zusammen. »Warum willst du sie heiraten? Ist der Balg etwa von dir und nicht von deinem
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