Schwur der Sünderin
die Tür. Niemand öffnete.
»Du musst fester dagegenschlagen. Sicher schlafen sie«, riet Friedrich und blies seinen Atem zwischen die gefalteten Hände, um sie zu wärmen. Als der Freund zögerte, schimpfte Friedrich: »Jetzt hämmere endlich gegen die Tür! Ich spüre weder meine Finger noch meine Zehen.«
»Sei leise«, bat Peter, »du weckst die Mühlhäuser auf.«
»Das ist mir einerlei, denn ich friere mich zu Tode«, schimpfte Friedrich und versteckte die Hände in den Achselhöhlen. Peter schlug nun fest gegen das Holz. Kurz darauf wurde innen der Riegel zur Seite geschoben und das Portal geöffnet.
»Wer stört mitten in der Nacht meinen Schlaf?«, sagte eine
verärgerte Männerstimme, und der Kopf des Baders erschien im Türrahmen. Mit verschlafenen Augen und zerzausten Locken blickte er die beiden Störenfriede an.
»Ich grüße dich, Gabriel. Ich bin es! Joß Fritz’ Sohn«, erklärte Peter und hörte im gleichen Augenblick, wie Friedrich zweifelnd wisperte:
»Wer bist du? Du bist doch der Sohn des Daniel Hofmeister!«
Peter gab ihm ein Zeichen, zu schweigen, und bat den Bader: »Lässt du uns eintreten? Hier draußen ist es eisig, und wir sind von der Fahrt blaugefroren.«
Gabriels wässrig-blaue Augen musterten Peter, ohne eine Regung zu zeigen. Dann blickte er mit grimmiger Miene zu Friedrich und knurrte: »Du weißt sicher noch, wo der Stall ist. Dort kannst du das Fuhrwerk unterstellen und das Pferd versorgen. Sei leise, damit die Nachbarschaft nicht geweckt wird.«
Friedrich nickte und nahm die Zügel auf. Peter folgte dem Bader ins Haus.
»Was wollt ihr beide in Mühlhausen?«, fragte Gabriel misstrauisch. Peter spürte, dass der Mann über ihr Erscheinen nicht erfreut war.
»Ich möchte … ich will … im Grunde …«, druckste Peter herum, bis Gabriel fluchte:
»Was soll das? Habt ihr was ausgefressen?«
Peter schüttelte heftig den Kopf, blieb ihm aber eine Antwort schuldig. Der Bader seufzte vernehmlich.
»Ich bin zu müde, um dir die Würmer aus der Nase zu ziehen. Morgen will ich wissen, was los ist, sonst verlasst ihr auf der Stelle mein Haus!«, schimpfte er und wies Peter einen Raum neben den Badestuben zu. Ohne ein weiteres Wort schlurfte Gabriel die Treppe nach oben in seine Schlafkammer.
Nachdem Friedrich das Pferd versorgt hatte, kam er zähneklappernd ins Haus gelaufen. Kaum erblickte er Peter, wollte er sogleich wissen, was es mit diesem besagten Fritz auf sich hätte.
Peter ging darauf nicht ein, sondern betrat die Schlafkammer, wo er sich rasch auszog, auf eine Bettstatt legte und sich die Decke bis zu den Ohren zog.
»Lass uns morgen darüber reden«, vertröstete er den Freund.
»Ich werde dich daran erinnern«, murmelte Friedrich müde und legte sich ebenfalls nieder.
Während der Freund leise schnarchte, lag Peter grübelnd wach. Wie kann ich dem Bader erklären, warum ich nach Mühlhausen gekommen bin?, dachte er. Muss ich zuerst mit Annabelle sprechen oder zuvor ihren Vater fragen?, überlegte er weiter. »Wenn doch nur Anna Maria hier wäre. Sie könnte mir raten, was richtig ist«, nuschelte er in die Decke hinein und schlief über diese Gedanken ein. In seinen Träumen sah er seinen Bruder Matthias, der ihm lachend entgegenlief.
Peter erwachte und wusste im ersten Augenblick nicht, wo er sich befand. Als er den schlummernden Friedrich neben sich sah, kam die Erinnerung zurück. Müde drehte sich Peter auf die andere Seite, doch er fand keinen Schlaf mehr. Die Gedanken und sein knurrender Magen hielten ihn wach. Leise zog er sich an und verließ die Kammer. Auf dem Gang blickte er sich um. Es kam ihm vor, als ob er erst gestern hier gewesen wäre. Zielsicher ging er in die Küche, wo es wohlig warm war. Peter schnitt sich eine Scheibe Brot ab und bestrich sie großzügig mit Butter. Außerdem nahm er sich einen Becher Milch und setzte sich an den Tisch. Alles hier war ihm vertraut, und er meinte, dass jeden Augenblick die Tür aufgehen und sein Bruder vor ihm stehen würde.
Von einem Herzschlag zum nächsten überschwemmten Peter Gefühle, die ihm den Atem raubten. Mit zittrigen Händen legte er das angebissene Brot auf die Tischplatte, denn der Hunger war ihm vergangen. Als er spürte, wie die Trauer ihn übermannte,
vergrub er das Gesicht in den Händen und ließ seinen Tränen freien Lauf.
Leise öffnete sich die Tür, und Annabelle stand vor ihm. Erschrocken blickte sie ihn an, und als sie ihn erkannte, flüsterte sie nur:
Weitere Kostenlose Bücher