Schwur der Sünderin
nichts als Liebe. Nach einer Weile fragte sie: »Was hast du mit den Wölfen vor? Die Bauern werden nicht eher Ruhe geben, bis sie die Tiere erlegt haben.«
»Ich weiß«, antwortete Veit bitter und blickte zu den saugenden Welpen. »Deshalb verbringe ich so viel Zeit wie möglich mit dem Rudel. Die Wölfin erkennt mich an, aber die Übrigen sind noch scheu. Ich hoffe jedoch, dass ich sie schon bald von hier fortbringen kann.«
»Wann soll das sein, und wohin willst du sie führen?«, fragte Anna Maria.
»Sobald das Fell des toten Wolfs lang genug in der Gerbbrühe gelegen hat, werde ich es als Umhang nutzen. So wird mich niemand als Mensch erkennen, und ich kann die Wölfe sicher in die Wolfsschlucht führen.«
Anna Maria blickte ihn fragend an.
»Wie du weißt, trauen sich die Menschen dort nicht hin. Außer, sie haben ein Bannzeichen auf der Stirn«, neckte er sie.
Anna Maria wusste, dass er den schwarzen dicken Punkt meinte, den sie sich damals mit Kohle auf die Stirn gemalt hatte, als sie im Jahr zuvor auf der Suche nach ihren Brüdern die Wolfsschlucht in der Nähe des Elsass durchwandern musste.
Verlegen knuffte sie ihn in die Seite. »Der Glaube an das Bannzeichen gab mir Selbstsicherheit, sodass ich mich traute, durch die Schlucht zu gehen. Nur so haben sich unsere Wege gekreuzt.«
»Ich werde dich nie wieder wegen des Bannzeichens necken«, versprach Veit mit erregter Stimme und zog sie an sich, um sie zu liebkosen und zu küssen.
Die Welpen waren gesättigt und kugelten sich dicht an dicht zusammen. Mit geschlossenen Augen gähnten sie und schliefen sofort ein. Das Muttertier hingegen stand auf und streckte sich. Es blickte zu dem Menschen, und der wusste, was es wollte.
»Anna Maria«, sagte Veit und zog sie auf die Beine. »Geh nach Hause und leg dich schlafen. Ich werde mit den Wölfen auf die Jagd gehen und erst im Morgengrauen zurückkehren.«
Anna Maria beugte sich nach vorn und kraulte die Wölfin. Dann blickte sie Veit an und nickte. Sie umarmte und küsste ihn und ging den Weg zurück, den sie gekommen war.
Bevor sie aus dem Wald trat, hörte sie die Pfiffe und hoffte, dass das Rudel Veit zur Jagd folgen würde.
Kapitel 8
Im September spannten die Bauern die Ochsen vor die Pflüge und bestellten ihre Felder. Sie hatten ihre Äcker in drei Teile gegliedert, die sie unterschiedlich bewirtschafteten. Während sie ein Feld nicht bepflanzten und brach liegen ließen, sodass es
durch natürlichen Aufwuchs als Weide genutzt werden konnte, wurde in dem zweiten Wintergetreide ausgesät. Erst im März würden sie im dritten Acker die Sommersaat ausbringen. Im darauf folgenden Jahr wurden die Getreide-Arten auf den Äckern ausgewechselt, sodass auf den Flächen hintereinander nie das gleiche Korn angebaut wurde. Die Bauern hofften durch diese Dreifelderwirtschaft genügend Frucht im Jahr erzielen zu können. Trotzdem litten viele unter ihnen Hunger, denn sie konnten nicht die gesamte Ernte für sich behalten. Einen Teil des Ertrags mussten sie als Saatgut verwenden, und vom Rest der Frucht wurden ihre Abgaben berechnet. Einerlei, wie schlecht die Ernte ausfiel – die hörigen Bauern waren ihrem Grundherrn gegenüber verpflichtet, seinen Anteil an der Frucht abzugeben.
Dieses Schicksal blieb der Hofmeister-Familie erspart, denn als freie Bauern waren sie keinem Grundherrn verpflichtet. Sie gehörten zu den wohlhabenden Bauern, da sich ihr Landbesitz durch des Vaters Geschick im Laufe der Jahre vergrößert hatte. Mittlerweile besaßen sie mehr Land und Vieh als alle Mehlbacher Bauern zusammen.
Jedoch war auch der Hofmeister-Hof vom Wetter abhängig, und so atmeten Jakob und Peter erleichtert auf, als der lang ersehnte Regen einsetzte. Rasch brachten die Bauern die Saat aus, und dank der vielen warmen Tage des Herbstes überzog schon bald zartes Grün die Felder.
Im Monat Oktober genossen die Menschen das letzte Aufflackern des Sommers, auch wenn die Tage kürzer wurden. Als sich sonniges mit stürmischem und regnerischem Wetter abwechselte, wurde es merklich kühler, und in vielen Stuben wurden die Öfen angeheizt. Die Sonne verlor ihre Kraft, und die Menschen bekamen ein Gefühl für den Herbst.
Der November war erst wenige Tage alt, als Peter seinen Geschwistern eröffnete, dass er nach Mühlhausen fahren würde.
»Im Augenblick werde ich auf dem Hof nicht gebraucht«, begründete
er den späten Zeitpunkt seiner Reise. »Wenn ich noch länger warte, wird die Fahrt für Annabelle
Weitere Kostenlose Bücher