Schwur der Sünderin
dann zerreißt du sie? Warum hast du das gemacht?«, fragte er.
»Die Fahne soll meine Jungen beschützen!«
»Wie soll ein Fetzen Stoff sie beschützen?«, schimpfte der Wirt, doch Kilian lächelte seinen Kameraden wissend an.
»Seiner Tochter Anna Maria hat Joß unser geheimes Zeichen in den Pilgerstab eingeritzt und ihr unsere Losung anvertraut in der Hoffnung, dass sie auf unsereins trifft, der ihr in der Not weiterhilft.« Kilian drehte sich Fritz zu: »Ich habe dich durch sie gefunden, mein Freund. Deinen Söhnen gabst du die Fahnenhälften aus demselben Grund mit. Ich hoffe, dass sie ihnen von Nutzen sein werden. Kennen sie das Geheimnis des Banners?«
Joß schüttelte den Kopf. »Nein! Sie haben ebenso wenig wie Anna Maria Ahnung, was diese Dinge bedeuten oder wer ich wirklich bin.«
»Hoffentlich verlieren sie die Fahne nicht«, warf der Wirt ein und schaute Joß grimmig an.
»Keine Sorge, das werden sie nicht, denn ich habe ihnen befohlen, sich das Stück Stoff über den Brustkorb zu binden.«
Joß Fritz lag auf dem Strohsack unterm Dach des Wirtshauses und starrte durch die kleine Luke in den nachtdunklen Himmel. In Gedanken sah er die Gesichter seiner fünf Kinder.
Sein ältester Sohn Jakob würde den Hof ordentlich bewirtschaften, war Fritz sich sicher. Auch, dass Sarah ihrem Mann hilfreich zur Seite stehen würde.
»Ich mag das Weib zwar nicht, jedoch kann ich nicht leugnen, dass Sarah ein fleißiges Frauenzimmer ist«, brummte er leise, um Kilian nicht zu wecken, der im gleichen Raum schlief. Joß wusste, dass die Schwiegertochter sich um seinen jüngsten Sohn Nikolaus kümmern würde. Sie wird den Jungen wie ihren eigenen großziehen, hoffte er. Aber was war mit Peter, Matthias und vor allem mit Anna Maria? Alle drei hatte der Vater lange nicht mehr gesehen, weil er die Buben in den Kampf der aufständischen Bauern hatte ziehen lassen und das Mädchen nicht davon abhalten hatte können, ihre Brüder zu suchen.
Jahrelang war Joß Fritz froh gewesen, dass das Dörfchen Mehlbach abseits lag. Die nächste größere Stadt war Kaiserslautern, und die war zum Glück einen Tagesmarsch entfernt. Deshalb erreichten Nachrichten Mehlbach erst dann, wenn sie schon veraltet waren. So wuchsen die Kinder unbekümmert auf, zumal man ihnen ernste Dinge vorenthielt. Doch irgendwann drang die Kunde von den ersten Bauernerhebungen bis Mehlbach vor, und besonders die Burschen horchten auf. Schon bald ergriffen sie Stellung für die unterdrückten Bauern und sahen es als ihre Pflicht an, sie in ihrem Kampf zu unterstützen. Der Vater konnte sie nicht umstimmen und gab ihnen seinen Segen.
Wenig später konnte Joß Fritz nicht verhindern, dass ihre Schwester ihnen hinterhereilte, um sie zurück nach Hause zu holen. Dieser verfluchte Traum!, schimpfte Joß in Gedanken. Seine Tochter Anna Maria hatte geträumt, sie habe die Brüder in Lebensgefahr gesehen. Nichts hatte sie davon abgehalten,
ebenfalls in die Fremde zu ziehen, um Peter und Matthias zu retten.
Joß Fritz wollte nicht leugnen, dass er auf seine Tochter stolz war – ebenso wie auf seine beiden Söhne, die wagemutig in die Fremde gezogen waren. Fritz verstand ihre Beweggründe, denn auch er spürte einst den inneren Drang, die Welt verbessern zu wollen. Als junger Mensch hatte er sich selbst oft in Gefahr begeben. Diese Ruhelosigkeit und das Verlangen waren mal stärker und mal schwächer, aber ich habe beides nie verloren, grübelte er. Selbst, als ich in Mehlbach ein neues Leben begann, habe ich diesen Tatendrang nur mühsam unterdrücken können.
Joß’ Gedanken schweiften zurück zu seinen Kindern, und er dachte daran, dass seine Tochter ihm am meisten glich. Nicht nur äußerlich war Anna Maria sein Ebenbild, sondern auch in ihrem Wesen. »Nichts und niemand hätte sie abhalten können«, lachte Fritz und murmelte: »Ich hätte sie totschlagen müssen, um sie davon abzubringen, ihren Brüdern zu folgen.« Das Stroh in seinem Schlafsack knisterte, als er sich von einer Seite auf die andere drehte.
»Warum wälzt du dich und grummelst unentwegt vor dich hin? Was beschäftigt dich, dass du keinen Schlaf findest?«, fragte Kilian mit müder Stimme in die Dunkelheit.
»Du bist wach?«, fragte Joß zurück.
»Wie soll ich bei deiner Unruhe ein Auge zumachen können?« , schimpfte der Freund leise.
Joß Fritz legte sich auf die Seite und stützte seinen Kopf auf den angewinkelten Arm. »Ich denke über meine drei Kinder nach. Ob Anna Maria
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