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Schwur der Sünderin

Schwur der Sünderin

Titel: Schwur der Sünderin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Zinßmeister
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ihre Brüder finden wird?«
    »Um Anna Maria musst du dich nicht sorgen. Sie ist ein kluges und tapferes Mädchen. Das habe ich vom ersten Augenblick an gewusst, als ich sie in dem Wirtshaus stehen sah  – mit ihrem mutigen Blick, bereit, mit dem Pilgerstab auf jeden einzudreschen, der ihr zu nahe kommen würde«, lachte Kilian. »Als
ich unser Zeichen im Holz ihres Pilgerstabs erkannte, wollte ich meinen Augen nicht trauen. Du kannst dir nicht vorstellen, mein Freund, welche Gefühle durch meinen Körper jagten. Von einem Wimpernschlag zum nächsten kamen Erinnerungen zurück, die tief in meiner Seele vergraben waren. Ich dachte an Begebenheiten, die ich glaubte längst vergessen zu haben.«
    »Ich weiß, was du meinst, Kilian!«, flüsterte Joß. »In manchen Nächten quälen mich Träume, in denen ich die vielen Toten sehe, die für unsere Sache ihr Leben ließen. Seit du mich in Mehlbach aufgesucht hast, verfolgt mich Nacht für Nacht Jörg Tiegels Antlitz im Traum.«
    »Jörg Tiegel«, überlegte Kilian. »Der Name sagt mir nichts.«
    »Sicher kennst du den Burschen, Kilian. Tiegel wurde von Herzog Ulrich zum Tode verurteilt, weil er die Tore der Stadt Stuttgart für die aufständischen Bauern öffnen wollte!«
    »Ich erinnere mich kaum. Herzog Ulrich war für seine Verschwendungssucht berüchtigt«, murmelte Kilian nachdenklich.
    »Es begann, als Herzog Ulrich 1511 eine prunkvolle Hochzeit feierte und mehrere tausend Gäste beköstigt wurden. Um sein ausschweifendes Leben führen zu können, mussten die Bauern stetig mehr Steuern zahlen und litten doch selbst Hunger und Not. Es kam, wie es kommen musste! Drei Jahre nach seiner Vermählung rotteten sich die Bauern zusammen, um gegen die schwere Steuerlast aufzubegehren. Dieser elende Herzog, der über beide Ohren verschuldet war, konnte nicht einmal die Landsknechte bezahlen, die ihn schützen sollten. Nur mit Mühe gelang Ulrich mit seinem Gefolge die Flucht nach Stuttgart. Dort wähnte er sich in Sicherheit, da die Stadtmauer mit ihren schweren Toren Schutz bot. Jörg Tiegel, der direkt am Zwingertor wohnte, wollte den Aufständischen helfen und bot an, das Tor in der Nacht zu öffnen. Er und einige andere wurden verraten, gefangen und zum Tode durch Enthaupten verurteilt.«
    Joß Fritz glaubte in der Dunkelheit seines Nachtlagers zu erkennen,
dass Kilian nickte. »Jetzt fällt es mir wieder ein«, sagte der Landsknecht leise. »Tiegels Mutter hatte den abgeschlagenen Kopf ihres Sohnes aufgehoben und wollte ihn nicht mehr hergeben.«
    Joß stöhnte leise auf. »Ja, ich war dabei. Es war furchtbar, das alte Mütterlein so leiden zu sehen. Sie hat den abgehackten Kopf aufgehoben, gestreichelt und Jörgs Namen geflüstert. Der Scharfrichter konnte ihr nur mit Gewalt den Kopf entreißen. In der darauf folgenden Nacht hat sie sich erhängt.«
    Beide Männer schwiegen. Mitten hinein in die Stille des Dachbodens sagte Joß Fritz mit bebender Stimme: »Als Jörg damals auf dem Henkerpodest stand, schaute er auf die gaffenden Zuschauer hinab. Dabei schweifte sein Blick umher und blieb an mir hängen. Kaum merklich nickte er mir zu, kniete nieder und betete laut das Vaterunser und das Ave Maria. Fünf Mal, so wie wir es abgesprochen hatten.«
    »Dann hat er dich erkannt?«, fragte Kilian fassungslos.
    »Das weiß ich nicht mit Sicherheit, aber warum sonst hätte er genau so beten sollen, wie wir es als Erkennungszeichen mit unseren Leuten vereinbart hatten?«
    »Haben andere das bemerkt oder zu deuten gewusst?«
    »Nein, ich denke nicht. Das war der Grund gewesen, warum wir die Gebete als Beweis unserer Zugehörigkeit gewählt hatten. Das Gebet zu Gott oder zur Gottesmutter hat für den gemeinen Mann größere Bedeutung als ein Schwur. Außerdem schöpft kein Henker Verdacht, wenn ein zum Tode Verurteilter betet. Das wusste Jörg Tiegel. Er zeigte, dass er bereit war, für unsere Sache zu sterben, ohne uns zu verraten.«
    Kilian richtete sich in der Dunkelheit auf. »Joß«, sagte er feierlich, »das ist der Beweis, wie sehr dir die Menschen vertrauen.«
    »Genau das ist meine Last!«, stöhnte Joß Fritz laut. »Menschen sterben. Und ich trage die Schuld an ihrem Tod.«
    »Das ist dummes Geschwätz, Joß! Nicht du schickst die Burschen
auf das Henkerspodest, sondern der Adel und der Klerus. Dank dir haben sie den Mut, ihr Sklavendasein nicht länger zu erdulden. Sie wollen frei sein! Frei von Abgaben, Hunger und Unterdrückung.«
    Als Joß Fritz nicht antwortete,

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