Schwur der Sünderin
Ziegenstall auszumisten, als sie sah, wie ihr Bruder langsam über das Feld in Richtung Wald schlenderte. Im Grunde tat er ihr leid, da der Vater immer öfter den Strick sprechen ließ. Als ihre Mutter vors Haus trat, um eine Schüssel mit Wasser auszuschütten, fragte sie: »Wohin ist Vater gegangen?«
»Zum alten Stelter.«
»Ich werde Johannes helfen, Holz zu sammeln«, sagte Susanna, da sie nun wusste, dass der Vater erst spät zurückkehren würde.
Die Mutter schaute ihrem Sohn über das Feld hinterher. »Wenn genügend Holz aufgestapelt ist, wird euer Vater hoffentlich zufrieden sein. Denk daran, keine zu großen Stücke zu nehmen. Ich will nicht auch noch Ärger mit dem Förster bekommen.«
Susanna versprach es und rannte ihrem Bruder hinterher.
Für Veit gab es an diesem Tag kaum etwas auf dem Hof zu tun, weil Jakob mit einigen Knechten nach Otterbach gefahren war. Deshalb teilte er Anna Maria mit, dass er heute schon zur Mittagszeit
zu den Wölfen gehen würde. »In zwei Tagen werde ich aufbrechen«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Im Wald holte Veit das gegerbte Fell des toten Wolfs unter einem umgekippten Baumstamm hervor und legte es sich um. Leichter Regen setzte ein, als Veit das Rudel im Wald suchte. Durch den Pelz war er vor der Nässe geschützt. Immer wieder stieß er den Pfiff aus, um die Wölfe zu rufen. Da die letzten Wochen kalt und regnerisch gewesen waren, hatten die Bauern keine Lust verspürt, erneut eine Wolfsjagd zu veranstalten.
Veit sprang über einen kleinen Graben, als es hinter ihm knackte. Er drehte sich um, da er hoffte, die Wölfe wären ihm gefolgt. Doch als er keines der Tiere entdeckte, pfiff er erneut die Melodie. Dann war ein Winseln zu hören, und das Rudel kam angelaufen. Freudig sprangen die Wölfe an Veit hoch und versuchten ihm am Mund zu lecken. Als einer der männlichen Wölfe zu stürmisch wurde, knurrte Veit ihn an und biss ihn ins Ohr. Sogleich ließ das Tier von ihm ab und verkroch sich jaulend hinter die anderen.
Veit rief die Wölfe mit seinem Pfiff zusammen und wollte gerade loslaufen, als er sah, wie das Weibchen einen kleinen Hügel anknurrte.
»Was hast du?«, fragte Veit das Tier und blickte in die Richtung. »Da ist niemand!«, sagte er und kraulte ihm das Fell. »Minnegard, Fehild, Modorok, Degenhart und all ihr anderen Wölfe, kommt! Wir wollen jagen. Aber nicht die Lämmer und Schafe«, lachte er und betete laut: »Lupus et agnus pascentur simul, et leo sicut bos comedent paleas, et serpenti pulvis panis eius. Non nocebunt neque occident in omni monte sancto meo, dicit Dominus . «
Doch erst als er die Melodie pfiff, folgte ihm das Weibchen. »So ist es brav, Minnegard«, lobte Veit die Wölfin. Kläffend folgten ihm nun auch alle anderen Tiere.
Susannas Herz schlug hart gegen ihre Brust. Regen lief ihr von den Haaren über das Gesicht und durchnässte sie bis auf die
Haut, doch sie spürte die Kälte nicht. Furcht schien ihre Empfindungen zu lähmen.
»Glaubst du mir jetzt?«, wisperte Johannes aufgeregt. Sie legte den Zeigefinger auf ihren Mund und gab ihm zu verstehen, dass er schweigen solle. Als das Winseln leiser wurde, lugte Susanna vorsichtig über den Erdhügel, hinter dem sie Schutz gesucht hatten. Sie sah, wie die Wölfe einen Hang hinaufliefen. Trotzdem spürte sie die Angst vor den Untieren.
Johannes traute sich ebenfalls, seitlich an dem Erdwall vorbeizuschauen, und konnte gerade noch sehen, wie die Wölfe im dichten Wald verschwanden. Triumphierend blickte er seine Schwester an. »Siehst du nun, dass ich nicht gelogen habe?«
Susanna brachte keinen Ton heraus und nickte.
Zuerst hatte sie den Wolf nicht gesehen, da sein Fell sich kaum von der tristen Umgebung abhob. Doch als Äste unter ihren Füßen brachen und er sich umdrehte, konnte sie seine Augen sehen, die so blau wie der Himmel schienen, und da erkannte sie ihn. Zum Glück hatte er sie zwischen den dicht stehenden Bäumen nicht sehen können. Als die Wölfe auftauchten, warf sich Susanna hinter den Erdhügel und riss ihren Bruder an seiner Hand mit sich. Weil einer der Wölfe in ihre Richtung knurrte, dachte sie, dass ihr letztes Stündlein geschlagen hätte, und sie betete stumm, Gott möge sie beschützen.
So plötzlich, wie der Wolfsspuk erschienen war, verschwand er wieder. Susanna murmelte ein Dankgebet. Alles schien wieder friedlich.
»Komm, Johannes, lass uns nach Hause gehen«, flüsterte sie.
»Aber das Holz!«, jammerte ihr Bruder. »Vater wird mich
Weitere Kostenlose Bücher