Schwur des Blutes
verharrte, riss ein verrostetes Eisengitter vor einem schwarzen Loch im Gestein heraus und tauchte in einen engen Abwassertunnel. Viele wussten nicht, dass sich unter dem touristisch genutzten, berühmten Hochsicherheitsgefängnis Alcatraz ein weitaus älteres Gefängnis befand. Timothy witterte Sam in der Nähe der Zellenblöcke, doch er wollte das Überraschungsmoment auf seiner Seite wissen. Gelang es ihm nicht, den Satyr zu überrumpeln, hätte dieser die Chance, Sam mit einem Schlag zu töten.
Eine Mauer versperrte ihm den Weg. Vorsichtig, aber mit ungeheurer Kraftanstrengung drückte er das Mauerwerk nach innen. Risse bildeten sich zwischen den Ziegelsteinen im porösen Beton. Der Sog des Wassers presste ihn gegen das Hindernis, bis es unter dem Druck nachgab. Er schwemmte in den dahinterliegenden Kanal, der zuvor fast im Trockenen gelegen haben musste und tauchte weiter. Es war stockdunkel und extrem eng. Er konnte nicht einmal seine Arme neben dem Körper bewegen. Gerade bereute er, diesen Weg genommen zu haben, als herausgebrochene Ziegel am Grund ein Loch über ihm verrieten. Er tauchte lautlos auf. Langsam zog er sich über den brüchigen Rand des gemauerten Bodens. Der Entwässerungstunnel befand sich in der Nähe der Isolationszellen – das marode Fundament der alten Bürgerkriegsfestung. Timothy sauste, ohne die geringsten Geräusche zu verursachen, durch die düsteren Backsteingänge eine Treppe hinauf. Hier waren die altersschwachen Mauern fast alle durch Stahl ersetzt worden. Rost und Schimmel mischten sich mit dem Gestank der Vergangenheit, aber Timothy folgte nun Sams leichtem Vanillegeruch, der verdeutlichte, wie schwach sie war. Er witterte, dass sie Blut verlor, der Geruch hing wie ein Damoklesschwert über ihr. Dicht an eine verschlissene Betonmauer gedrückt blieb er stehen, horchte, ortete, wo genau der Satyr sich im uneinsehbaren Quergang aufhielt. Fast unmöglich, ihn mit einem Sprung außer Gefecht zu setzen. Doch er musste sofort zuschlagen, Sam brauchte ihn, der Teufel würde sie sonst töten.
Timothy hechtete mit einem ungeheuren Satz hervor. Der kleine, dürre Satyr mit den gebogenen Hörnern stand vor Sam, blickte ihm mit starren, seltsam leeren Augen entgegen. Bevor Timothy den Satyr erreichte, löste dieser sich in Nichts auf, Timothy fiel ins Leere. Rasch rappelte er sich auf. War es vorüber? Hatte er den Bösen besiegt? Timothy keuchte schwer vor innerer Anspannung. Die Stille wirkte gespenstisch.
Er wandte sich stürmisch um. Ein Schock traf sein Herz und seinen Verstand, dennoch reagierte er unverzüglich. Er riss das, was von Sams Oberteil übrig geblieben war, entzwei und leckte rasch über alle Wunden, die er witterte. Wortlos betete er so intensiv um ihr Leben, dass er meinte, seine Energie zu ihr überfließen zu sehen. Lebe, Sam, lebe!
In seinem Rücken klatschte jemand in die Hände. Timothy erstarrte zu Eis.
~~
Jonas wippte mit dem Oberkörper vor und zurück, die Hände wie zum Gebet vor dem Mund gefaltet. Er spürte die Tränen nicht, die er auf Ciras leblosen Körper vergoss, seitdem Nyl ihn aus der Bewusstlosigkeit geholt hatte.
Josephine und Sitara legten ihm je eine Hand auf die Schulter. Eine Gänsehaut überlief ihn. Sie waren bereit, ihn bei dem Ritual für die Metamorphose zu unterstützen. Er wusste, dass Cira die Verwandlung in ihrem Zustand nicht überleben würde. Trotz des vielen Blutes von ihm in ihrem Organismus und obwohl sie es sicher vorziehen würde, als Vampir weiterzuleben, anstatt als Mensch zu sterben. Es war beinahe aussichtslos, dennoch blieb es der einzige Hoffnungsschimmer.
„Nyl?“, krächzte er aus Furcht vor dem, was er tun würde.
Ny’lane trat zu ihm.
„Bitte geh! Such Amy, den Dämon, hol die Ringe zurück … vielleicht haben sie die Macht, Cira zu helfen, das Unmögliche
zu überstehen.“
~~
Timothy blickte seinem schlimmsten Albtraum entgegen. Er erkannte den Reinblüter Veyt Constantin, der mit Abstand im düsteren Gang zwischen den Zellen stand und lächelnd seine Hände betrachtete.
„Sind sie nicht beide wunderschön?“
Timothys Impuls, sich auf ihn zu stürzen, verrauchte, als er Veyts leichtes Kopfschütteln sah. Was führte der Teufel im Schilde? Wie ein Schock traf Timothy die Gewissheit, dass Veyt ihn jederzeit hypnotisieren konnte. Er musste den Satyr ebenfalls unter seinem Einfluss gehabt haben und hatte auf die Chance gewartet, Sam zu entführen, um ihn an diesen Ort zu locken. Veyts Ziel war Timothy
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