Science Fiction Almanach 1981
eine physikalische, chemische und radiologische Unters u chung. Legen Sie neue Akten an.“
„Sofort, Doktor. Ich werde die Formulare zusammenste l len und Sie später im Labor treffen.“ Erfreut ging der junge Mann davon.
„Das ist erledigt“, stellte Dai einfach fest. Dann zog er seinen Laborkittel aus, ließ ihn auf den Boden fallen, öffnete sein Hemd und begann, es sich über den Kopf zu zerren.
„Doktor!“ rief Sue ungläubig. „Was wollen Sie tun …?“
„Ich habe zu ihnen gesagt, daß ich gleich bei ihnen sein würde, und das werde ich auch – in jeder Beziehung. Ich teile Ihre Ansicht, Controller, Ihr Plan ist wohl tatsächlich brillant und wahrscheinlich auch der einzig mögliche. Ich werde mitmachen. Und ich werde Ihnen den Papierkrieg und den Aufwand ersparen, mich erst in eine Zelle zu sperren, um mich schließlich wieder herzuschicken – ich bleibe ei n fach jetzt hier.“
Sandersons Mund stand offen, doch dieses Mal war er sprachlos. Er versuchte, die Worte zu finden, die ihm bestät i gen sollten, was er nicht glauben konnte. „Sie meinen, daß …“
„Daß ich von diesem Augenblick an ebenfalls ein polit i scher Gefangener bin. Im Prinzip stimme ich Ihrem Plan zu, doch ich weigere mich, eine andere als eine passive Rolle darin zu übernehmen. Ich werde in die Sektion für Studien am Lebenden Objekt gehen und mich den anderen Tieren anschließen – jetzt.“
Er machte vier lange Schritte voran, hielt dann inne und sagte zu Sue: „Ich bin ein kräftiges und gesundes Exemplar, Sie können mich also zuerst nehmen. Ich werde Ihnen gute Ergebnisse liefern.“
Lisa Tuttle
Die Mondvögel
Die Vögel, die auf dem Mond leben, haben Köpfe, die menschlichen Köpfen sehr ähnlich sind; aber sie haben ke i ne Ohren, und ihre Gesichter, die völlig ohne jeden Au s druck sind, machen einen seltsam toten Eindruck. Sie fli e gen langsam und schwerfällig durch die luftlose Nacht und nisten allein auf nackten Felsen oder in Kraterwänden.
Amalie wachte plötzlich auf, als habe sie eine kalte Klaue am Handgelenk gepackt. Das langsame, regelmäßige Atmen ihres Mannes erfüllte das Zimmer wie Mondlicht. Er schlief. Sie drehte auf dem Kopfkissen ihren Kopf, um ihn anzus e hen, und erstarrte bei dem Anblick seiner offenen Augen. Sie standen offen, sahen aber nur seinen Traum.
Bevor er auf den Mond geflogen war, hatte ihr Mann wie jeder andere mit geschlossenen Augen geschlafen. Manc h mal wußte Amalie, daß ihr Mann nie vom Mond zurückg e kommen war: Wie die Männer, die dort gestorben waren, hatte er seinen wichtigsten Teil dort oben in einer Kreisbahn im Raum zurückgelassen. Und nun sahen seine Augen stä n dig an ihr vorbei zu der rauhen Landschaft des Mondes hi n auf.
Amalie bewegte sich im Bett, weg von ihrem Mann; sie rutschte zu der Kante und stand auf. Er rührte sich nicht. Sie war hellwach, fast beängstigend wach. Tagsüber fühlte sie sich selten so wach, und sie fragte sich, ob sie vielleicht nur träumte, daß sie wach sei – das würde die merkwürdige Qualität ihres Bewußtseins erklären.
Im Flur blieb sie vor Carmens Tür stehen und machte sie leise auf. Das Zimmer war vom Mond hell beleuchtet: die Vorhänge waren aufgezogen und das Fenster geöffnet. Am a lie sah kaum zu Carmens leerem Bett hinüber; sie brauchte fast nicht mehr nachzudenken, um das Zimmer zu durchqu e ren und zum Fenster zu gehen. Sie stieß es ganz auf und lehnte sich hinaus. Die Einfahrt glänzte wie Schnee im Mondlicht, und das Gras, das sie begrenzte, sah schwarz aus.
Und da war Carmen, in einem weißen Nachthemd, das ihr bis zu den Knöcheln reichte. Sie war barfuß und hatte ihre Arme ausgestreckt. Sie wirbelte auf dem Rasen in einem schweigsamen Tanz herum. Ihr Gesicht trug einen feierl i chen Ausdruck, ihr Tanz war ein Ritual des Wahnsinns. Ihre Mutter zögerte, die Hände flach auf dem Fensterbrett aufg e stützt, bereit, ihr nachzuklettern. Doch dann drehte sie sich um und ging durch das Haus zur vorderen Eingangstür.
„Carmen!“ Ihre Stimme zersplitterte die ruhige Nachtluft. Das kleine Mädchen drehte ihr Gesicht vom flachen, silbe r nen Gesicht des Mondes weg und hörte auf zu tanzen. Mit niedergeschlagenen Augen, wie eine schlecht gefertigte Puppe, ging sie in das Haus. Ihre Mutter versuchte, sie zu berühren, aber Carmen wich ihr aus und drückte sich eng an die Wand. Sie lehnte mit ihrem Körper die menschliche B e rührung ab. Ihre Mutter kannte diese Reaktion und ließ
Weitere Kostenlose Bücher