Science Fiction Almanach 1981
zwei bin ich mit Carmen unterwegs.“ Amalie goß sich eine Tasse Kaffee ein und beobachtete ihre Tochter, wie sie ihre sauber aufgestapelten Frühstücksplätzchen in Milch badete. „Willst du etwas Besonderes zum Essen?“
Er schüttelte den Kopf und nippte an seinem Kaffee.
Sie redete im gleichen Tonfall weiter. „Du hast schon wieder mit offenen Augen geschlafen.“
„Einen Scheißdreck habe ich.“
„Jim, ich hab’s doch gesehen.“
Er schüttelte den Kopf. „Wirklich.“
Er zuckte die Achseln und stellte seine Kaffeetasse ab. „Na und? Ich glaube dir zwar nicht, aber wenn schon, selbst wenn es so wäre – na und? Ich schlafe eben in der letzten Zeit mit offenen Augen – das sollte dich aber nicht wachha l ten; es ist ja nicht so, daß ich schnarche.“
„Es ist unheimlich.“
„Es ist unheimlich. Ich finde es noch unheimlicher, daß es dich aufwachen läßt, damit du mich dabei erwischst.“ Er drehte seinen Kopf und kümmerte sich nicht mehr um sie. „Papi geht jetzt arbeiten, meine Kleine.“
„Tschüs, Papi“, sagte Carmen. Sie hob ihren Kopf beim Sprechen nicht von ihrer Schale hoch, und Amalie merkte, wie ihre Depression stärker wurde. Carmens Antwort war für sie jeden Morgen ein Signal, was aus dem Tag werden würde – sah sie ihren Vater beim Sprechen an, dann würde es ein guter Tag werden. Sah sie ihn nicht an, dann wurde der Tag schlecht.
„Mach’s gut“, sagte Amalie lustlos. Ihre und Jims Lippen stießen zusammen wie Fremde, die aneinander vorbeigi n gen.
„Mach’s gut“, sagte er. „Mach’s gut, Carmen.“
Die Vögel, die auf dem Mond leben, sind schwarz und weiß. Der Mond ist schwarz und weiß, die Landschaft rauh und rein. Diese Vögel haben keine Vorstellung von Farbe; sie kennen nur Dunkelheit und Licht.
Den Glanz von ungebrochenem Sonnenlicht, die Schwä r ze einer kalten Nacht. Sie schlafen in den schwarzen Scha t ten, die weiße Felsen werfen. Ihre schwarzen Augen, ohne Pupille, seelenlos, haben keine Lider; immer starren sie.
Im Supermarkt kamen ihr die Farben kreischend grell vor, die bunten Schachteln, Gläser, Dosen und Flaschen schienen von den Regalen herabzuspringen, sie zu reizen, sie um ihre Wahl zu bitten, um ihren Kauf. Sie lehnten sich in dem blä u lich fluoreszierenden Licht zu ihr hin, und die Geräusche der Registrierkassen und der monotonen Musik und die Nähe der anderen Leute gingen ihr auf die Nerven. Sie spürte die beginnenden vertrauten Anzeichen für eine Migräne: das Gefühl von Desorientierung, die Schwierigkeiten, die sie damit hatte, scharf genug zu sehen, um die Namen der Pr o dukte lesen zu können, das Kribbeln in ihrer rechten Hand.
Sie entschloß sich dazu wegzugehen, ohne etwas zu ka u fen, nach Hause zu gehen und sich ins Bett zu legen, bevor die betäubenden Kopfschmerzen anfingen. Carmen war beim Arzt; ihr selbst blieben noch zwei Stunden, bis sie sich für ihren Teil der Therapie dieses Tages einzufinden hatte. Sie würde nach Hause gehen, in die Dunkelheit kriechen und die kühle Stille des Schlafs suchen.
„Mrs. Carter!“ Sie hörte die Stimme zum ersten Mal, wußte aber, daß sie ihren Namen schon einmal oder zweimal ausgesprochen hatte, bevor sie sie hörte. Sie drehte sich um und stand einer jungen Frau gegenüber, einer Fremden mit brennenden Augen und dünnem hellbraunem Haar. Sie sah ein wenig wie ein Babysitter aus, den Amalie einmal ang e stellt hatte, aber sie kannte diese Frau nicht.
„Sie sind doch Mrs. Carter?“
„Ja.“
„Ich wußte es. Ich habe Bilder von Ihnen gesehen, und ich bin Ihnen hierher gefolgt.“
„Was wollen Sie denn?“
„Ich möchte nur mit Ihnen sprechen – ich möchte Ihnen nur etwas erzählen, was Sie wissen sollten.“
Amalie hatte im Augenblick die Überzeugung, daß diese Frau nicht existierte; daß diese Fremde, die sich so irrational benahm, nur ein weiteres Symptom der Migräne war, die sich anbahnte.
„Ich muß gehen“, sagte Amalie vage und ging dabei lan g sam rückwärts.
„Warten Sie! Ich habe ein Verhältnis mit Ihrem Mann.“ Sie sah triumphierend aus. Amalie blieb stehen.
„Und ich möchte Ihnen mitteilen, daß er mich liebt, und er würde sich augenblicklich von Ihnen scheiden lassen, wenn er sich nicht um Ihr – sein – kleines Mädchen Geda n ken machen würde. Ich weiß aber, daß ich für sie eine hu n dertmal bessere Mutter sein würde – mit mir wäre sie glüc k lich, weil ich sie liebe –, und wenn ihm das klar wird … a l so, ich
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