Science Fiction Almanach 1981
möchte Ihnen nur sagen, daß Sie Ihren Mann verl o ren haben und daß Sie ihn nie zurückbekommen werden – warum also machen Sie es nicht leichter für uns alle und lassen sich von ihm scheiden?“
Amalie lachte.
Die andere Frau sah sie verwirrt an, erholte sich aber dann wieder. „Doch, es ist wahr. Glauben Sie ja nicht, sie können das mit Gelächter aus der Welt schaffen. Ich könnte Ihnen Sachen von ihm erzählen … dann wüßten Sie sicher, daß es wahr ist. Wir haben heute morgen zusammen in me i nem Appartment gefrühstückt, und dann haben wir uns g e liebt, bevor er zur Arbeit gegangen ist. Und wie ist es mit letztem Donnerstagabend? Als er angerufen hat und Ihnen erzählt hat, er würde in Glaveston Poker spielen, und weil es so spät sei und er nicht mehr viel Benzin hätte, würde er bei einem Freund übernachten. Also, dazu kann ich Ihnen s a gen: Er war bei mir und nicht in Galveston, um dort Poker zu spielen; er war in Houston und hat in meinem Apartment mit mir geschlafen.“ Ihre Worte holperten und stolperten übereinander aus ihrem Mund heraus, und ihre Stimme hob sich. Ihre Aussprache wurde ländlicher, sie hörte sich jetzt mehr nach Ost-Texas an. Amalie empfand das Geräusch als genauso störend wie die aufdringlichen Gold-, Gelb- und Orange-Farben, die um sie herum gestapelt waren und in dem gemeinen grünen Licht des Supermarkts leuchteten. Sie mußte hier raus.
Jetzt hatte sie nicht mehr das Bedürfnis zu lachen. Aber die Ansprüche dieser Frau verdienten nichts Besseres als Gelächter. Sie zweifelte nicht daran, daß Jim wirklich ein Verhältnis mit ihr hatte, aber das war unwichtig, die Frau war keine Bedrohung – da gab es nichts zu bedrohen. Die Tatsache, daß sie Amalie aufgesucht hatte, konnte nur die Bedeutung haben, daß sie in Amalie, der Ehefrau, eine G e fahr sah, aber auch das war nicht richtig. Amalie hätte ihr erzählen können, daß sie beide Jimmy schon vor Jahren an den Mond verloren, unwiederbringlich verloren hatten. Der Mond war seine einzige Geliebte, seine alles bestimmende Krankheit.
Amalie ging von ihrem Einkaufswagen und der Frau weg, die ihren Mann liebte, und fuhr nach Hause. Sie mußte dabei die Augen zusammenkneifen, um durch ihre Kopfschmerzen und den winzigen glühenden Mond hindurch sehen zu kö n nen, der in der äußersten rechten Ecke ihres Gesichtsfelds hing.
Die Vögel, die auf dem Mond leben, geben weder ein G e räusch von sich – sie haben keine Stimmbänder –, noch ve r ständigen sie sich irgendwie miteinander. Jeder von ihnen lebt allein, und obwohl sich Gruppen von ihnen zusamme n hocken, zusammen in einer Wand nisten können, so weiß doch jeder Vogel, daß er für immer allein ist.
Carmen war in Gesellschaft mit anderen wie ein Junges im falschen Wurf, wie der Fremde im Stamm. Sie blieb für sich. Sie versuchte sich vor den Aufdringlichkeiten anderer zu schützen und nur in Beziehung zu sich selbst zu bleiben, aber die Anstrengung kostete sie Kraft. Jedesmal, wenn sie nach Hause kam, ging Carmen direkt in ihr Zimmer und schloß die Tür. Wenn sie allein in ihrem Zimmer war und die notwendigen Rituale mit ihren Puppen vollziehen kon n te, beruhigte sie sich.
Jim rief an, um ihr mitzuteilen, daß er nicht zum Essen heimkommen würde, und Amalie fragte sich, ob wohl die Frau aus dem Supermarkt mit einem Gefühl des Triumphs neben ihm stand. Ob sie heute nacht versuchen wollte Am a lies Mann mit ihrem Fleisch an sich zu fesseln, um dann später hoffnungslos in seine offenen, träumenden Augen zu starren.
Amalie holte Lammkoteletts aus dem Gefrierschrank und legte sie zum Auftauen hin. Das Haus war still. Carmen, die nie ein Geräusch von sich gab, war in ihrem Zimmer. Als Amalie sich aber erst einmal dankbar über die Stille im Haus Gedanken gemacht hatte, bemerkte sie, daß es bei weitem nicht ruhig genug war. Kleine Geräusche brachen plötzlich herein, und es gab da Laute, die gingen immer weiter, wie das stetige Summen der Uhr an der Wand oder das Bru m men des Kühlschranks. Draußen zwitscherten die Vögel, keiner von ihnen in Harmonie mit dem anderen, und sie konnte das leise Rauschen der Autos auf der Schnellstraße draußen hören.
Im Wohnzimmer war es besser. Nachdem sie die Welt draußen ausgeschlossen hatte (geh weg, Flugzeug, ich höre dich nicht; Autos, Vögel, Käfer gibt es nicht), gab es nichts mehr zu hören, nichts mehr, worüber sie sich ärgern konnte. Amalie lehnte sich im Stuhl zurück und schloß die Augen.
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