Science Fiction Almanach 1981

dem Mond zu. Ihr einziges Bestreben war es jetzt, der Anziehungskraft der Erde zu en t kommen.
    Amalie klammerte sich mit aller Macht fest und spürte, daß sie fiel, ebenso wie sie in ihren Träumen schon so oft gefallen war. Ihre Arme schmerzten gleichermaßen von der Kälte wie von der Anstrengung, sich festzuhalten. Sie fiel und zog den Vogel, an dem sie sich festklammerte, mit sich herab. Er drehte den Kopf und biß sie mit seinen eckigen, harten Zähnen in den Arm. Sie stieß vor Schreck und Schmerz einen Schrei aus, lockerte ihren Griff, und der V o gel flog unter ihr weg und dann wieder nach oben zu dem Mond, und sie stürzte ab.
    Sie kam auf einer einsamen Straße zur Erde zurück, g e schüttelt und zerbrochen, mit dem Gesicht nach unten, das auf dem Beton zerschmettert wurde. Das Mondlicht betonte die Weiße ihres Nachthemds und ihrer Haut und brachte sie zum Glänzen, als sei sie schon jetzt nichts weiter als ein Haufen abgenagter Knochen.
     

Joan D. Vinge
Phoenix aus der Asche
     
    Das blinde, brennende Gesicht der Sonne erhob sich über den zerklüfteten Rand des Flußbettes; Lichtstrahlen zuckten über Hoffmanns geschlossene Augenlider. Er bewegte sich und seufzte. Die Temperatur stieg mit der Sonne, Fliegen und rote Ameisen übernahmen die Tagschicht von den Mo s kitos.
    Hoffmann wühlte sich mit den Füßen frei von der Decke und saß auf. Er verscheuchte Fliegen von seinem Gesicht und wischte Sand vom Glas seiner Uhr. „Sechs Uhr morgens …“ Etwas stach in seinen Fuß. „Verdammt!“ Er erschlug eine Ameise und fühlte, wie das charakteristische Kribbeln sich in seinem Fuß breitmachte. Er war allergisch gegen Ame i sen. Es gab kein Gegenmittel – das bedeutete einen halben Tag lang nagenden Schmerz und Übelkeit. Er zog seine H o sen an und wankte zum Fluß, um Kopf und Schu l tern mit dem noch kühlen Wasser der Dämmerung zu b e feuchten. Der Fluß floß gurgelnd an ihm vorbei, nur zweihundert K i lometer vom Golf entfernt, das Wasser hatte die Farbe von Kaffee mit zuviel Milch. Doch Colorado bedeut e te „Color red“ – Farbe Rot. Er fragte sich, ob das in der Ve r gangenheit anders gewesen war, oder ob der Fluß, irgendwo weiter aufwärts, ebenfalls rot dahinfloß … „Eines Tages werden wir’s herausfinden, Hoffmann.“ Er erhob sich – Wasser tröpfelte von ihm ab –, um ein Stück Altmetall, halb verbo r gen im Sand, zu entdecken. Er kauerte sich erneut nieder und grub mit den Fingern. „Stahl … man sollte es nicht für möglich halten. Tatsächlich. Sieht gut aus …“ Er ging zum Ufer hoch und zurück zu seinem Lager.
    Er sammelte Kleinholz für ein Feuer und wärmte sich r e hydrierte Eier und Speck. Eine letzte, verspätete Fledermaus entfloh dem Tag; sie zirpte schrill über seinem Kopf, wä h rend sie hastig den schattigen Höhlen der fernen Canonwand zustrebte. Spatzen raschelten in den staubigen Bäumen hi n ter ihm. Er warf ihnen Brotkrumen hin und betrachtete die pickenden, zankenden Vögel; die Hitze der Sonne brannte die Nässe von seinem Rücken, bleichte die Spitzen seines zottigen dunklen Haares. Er studierte erneut die Rolle mit USGS- Kartenreproduktionen, mühsam übersetzte er sie aus dem Englischen. „Huh! Los- A ngeles-Becken! San Pedro; hübsche Bucht … frage mich, wie sie heute wohl aussieht? Vielleicht wie ein Krater, Cristovão. Militärgelände bei Long Beach.“ Er sprach es wie ‚Long Becha’ aus. „Nun, wie auch immer, bei Einbruch der Dunkelheit werden wir es wissen …“ Er lachte plötzlich spöttisch. „Sie sagen, wenn man Selbstgespräche führt, sei man verrückt, Hoffmann. Zur Hölle, nein – nur wenn man sich auch noch selbst antwo r tet.“
    Er zwängte seinen geschwollenen Fuß in einen Wande r stiefel, zog sein zerknittertes Hemd an und setzte seinen L e derschlapphut auf, wonach er seine Bettrolle hinter den ei n zigen Sitz des Kopters ins Cockpit warf. Der Bulk der au f einandergeschichteten Treibstofftanks verlieh dem Kopter ein seltsames Aussehen; er nannte ihn Careless Love. Er stre i chelte das auffällige Metall der Tür. „Laß mich nicht wieder im Stich, Maschinchen – sie haben dich nicht gebaut, damit du mir Schwierigkeiten machst. Bring mich zum Bec ken, e i nen weiteren Tag noch, dann werde ich die Verkabelung übe r prüfen, ich versprech’s …“ Seine Augen fanden den Sterne n himmel der brasilianischen Flagge auf der Tür. Er sah an dem Schiff vorbei zu dem sanft ansteigenden Kies des Hangs, zu den