Science Fiction Almanach 1982
gesehen in einer Entfernung, die dreißigmal so groß ist als ihr Abstand von der Erde. Denn jene große mattleuchtende Scheibe am Himmel ist der äußerste Planet unseres Sonnensystems, der Neptun. Jene Landschaft mit ihren Pflanzen und Seen liegt auf dem Mond, der den Planeten Neptun umkreist.
Wenn das Licht der Sonne dorthin gelangt, so hat es nur noch den neunhundertsten Teil der Helligkeit wie auf der Erde; das bedeutet immer noch die Leuchtkraft von 630 Vollmonden bei uns. Aber es wird noch weiter gedämpft durch die Dichtigkeit der Atmosphäre, die dem Neptunsmond zu eigen ist. Dafür liefert der große Planet selbst, dessen Durchmesser mehr als das Siebenfache von dem der Erde beträgt, außer dem reflektierten weißen Sonnenlicht auch Licht und Wärme von seinem eignen Vorrat. Denn er ist selbst noch gasförmig und warm. Den Bewohnern des Neptunsmonds erscheint er als eine Scheibe, deren Durchmesser das Sechzehnfache unsrer Mondscheibe ausmacht. Der von der Sonne nicht bestrahlte Teil und der sehr viel hellere weiße wechseln ziemlich schnell ihre Größe, denn in kaum sechs Tagen vollendet der Mond den Umlauf um seinen Planeten und hat daher diesen bald auf derselben, bald auf der entgegengesetzten Seite wie die Sonne.
Ja, dieser Neptunsmond, der äußerste Himmelskörper unseres Sonnensystems, besitzt Bewohner, und zwar ziemlich zahlreiche. Er hat überhaupt in seiner physischen Beschaffenheit eine gewisse Ähnlichkeit mit unserer Erde, obwohl seine Größe nur ungefähr der unseres Mondes entspricht. Unserer Erde gleicht er darin, daß er eine Atmosphäre besitzt, während unser Mond ja ohne Atmosphäre, starr und scheinbar abgestorben ist. Der Neptunsmond aber befindet sich gegenwärtig annähernd im Entwicklungszustand unserer Erde. Wegen seiner Kleinheit konnte er sich schneller abkühlen als sein Planet. Die Schwerkraft ist auf ihm wesentlich geringer als bei uns, alles ist leichter und freier beweglich. So sind auch die Organismen auf diesem Himmelskörper von unsern Pflanzen und Tieren recht verschieden, entsprechend der Anpassung an die Verhältnisse des Neptunsmonds.
Wie die Gesetze der Mechanik, so sind auch die Grundformen des Lebendigen die gleichen im ganzen Universum. Die Wechselwirkung zwischen der Zelle und ihrem Kern, die Teilung und Verschmelzung der Zellen, die Bildung von Zellgesellschaften, aus denen organische Individuen höherer Ordnung hervorgehen, der Fortschritt endlich dieser komplizierten Organismen zu immer klarerem Selbstbewußtsein, vom einfachen Sinneswesen bis zur Höhe der Vernunft, – diese allgemeinen Bestimmungen gelten für den Kosmos überhaupt. Aber die Resultate des Werdeganges sind sehr verschieden. Wie die Arbeitsleistung der Kultur sich unter die lebendigen Wesen verteilt, wie die einzelnen Organismen ihre Einheit mit der Natur aufrecht erhalten und ihre Freiheit in der Kultur gewinnen, ob sie überhaupt trennende Bahnen einschlagen, das ist eine Form der Entwicklung, die sich auf verschiedenen Weltkörpern verschieden vollzieht.
Die weißen Streifen an den Gipfeln und Hängen der Berge und die lichten Wölkchen, die sich von ihnen lösen, um in willkürlichen Richtungen durch die Luft über die Landschaft zu ziehen, sind nichts anderes als die Werkstätten der herrschenden Bewohner des Neptunsmonds, die sich selbst Idonen nennen.
Man könnte diese Wohnungen etwa mit großen, laubenförmigen Körben vergleichen, die aus feinen Geflechten filigranartig gebildet sind und mit schimmernden Gespinsten überzogen. Zahlreiche abgeschlossene Zimmer enthalten sie in sich, über und nebeneinander geordnet, dazwischen ziehen sich verschlungene durchsichtige Röhren hin, gefüllt mit ebenfalls unsichtbaren Gasen, leichter als die Luft, die jene kunstvollen Gebäude schwebend erhalten. Ihre Architektonik, die auf die Schwere des Stoffes keine Rücksicht zu nehmen braucht, folgt frei den wechselreichen Formen der Wolkengebilde, deren leichten Zug wir an unserm Himmel bewundern. Bald legen sich die einzelnen Wohnungen aneinander zu großen Städten, bald trennen sie sich und fahren einsam oder in willigen Gesellschaften durch die Höhen.
Auf den Dächern der luftigen Häuser sieht man einzelne Idonen ruhen, die meisten aber fliegen frei durch die Luft. Denn das ist ihre gewöhnliche Bewegung. Sie sind zierliche, kleine Gestalten von etwa ein Drittel Meter Höhe mit frei beweglichen, biegsamen Armen und flügelartigen Ruderfüßen. Durch willkürliche Zusammenziehung und
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