Science Fiction Almanach 1982
welcher Form der Kriegszustand mit Deutschland zu beenden sei.
Versetzen wir uns ins Jahr 1947. Seit zweiundzwanzig Monaten wurde nicht mehr gekämpft. Aber es war noch Krieg; das empfand jedermann. Zwar gab es bereits die UNO; doch sie spielte im öffentlichen Bewußtsein nirgends eine wesentliche Rolle. Viele erinnerten sich des Völkerbundes in Genf und waren skeptisch. Dafür wurde der Mann auf der Straße überall durch eine halb noch utopische, halb schon verwirklichte Phantasie beherrscht. Er ahnte die Möglichkeiten der wenige Jahre zuvor erschlossenen Atomenergie: Möglichkeiten der Zerstörung und des Vertausendfachten Todes.
Die Welt war von Angst erfüllt. Angst ist ein schlechter Ratgeber. Sie verhindert Entschlüsse auf weite Sicht. Jeder klammerte sich an die Sicherheit für morgen – und bereitete damit den Untergang für übermorgen um so gewisser vor.
Manche Dichter und Denker durchschauten diese Gefahr. Sie spielten leichtfertig damit. Statt vor dem Tode zu warnen, machten sie mit ihm vertraut. Gespenster und Tote auf Urlaub bevölkerten die Bühnen der Welt. Unter dem irreführenden Namen einer Existenz-Philosophie verbreiteten sich rasch verschiedene Lehren von der Sinnlosigkeit und Richtungslosigkeit des Daseins. Im Kerngebiet Europas, zwischen Zentralrußland und dem Kanal, Mittelitalien und der Ostsee, herrschten Not, Hunger, Kälte, Obdachlosigkeit, Flüchtlingselend. Der Lebensstandard von hundertfünfzig bis zweihundert Millionen Menschen war auf ein Viertel bis ein Sechstel des vorhergehenden Jahrzehnts gesunken. Die Ernährung der Bevölkerung in Nordwestdeutschland war auf ein knappes Drittel zurückgegangen. Man kannte die genaue Zahl der seit 1939 Umgekommenen noch nicht, schätzte sie aber auf zwanzig bis fünfundzwanzig Millionen. Weit über zehn Millionen Flüchtlinge waren heimatlos. In diesem ganzen europäischen Kerngebiet lebten die Menschen in Angst vor dem unmittelbar drohenden Tod durch Entkräftung, Hunger, Kälte.
Große Teile der übrigen Welt waren von der Angst vor Arbeitslosigkeit, vor Rohstoffknappheit, vor Absatzstockung, vor sozialen Kämpfen, vor dem scheinbar als Naturkatastrophe näherkommenden nächsten Weltkrieg ergriffen. Daß dieser tatsächlich und nicht nur bildlich Vernichtung bedeutete, war klar. Das feuerte den Lebenswillen aber nicht an, sondern lähmte ihn.
Politische Lehren suchten diese Weltlähmung zu erklären und zu überwinden. Sie verstärkten sie nur noch mehr. Zudem widersprachen sie einander so hoffnungslos, daß viele Menschen an der Möglichkeit einer gründlichen, rettenden Veränderung überhaupt zweifelten. Außerdem war jede dieser Theorien von der geistigen Krankheit des Jahrhunderts wie von einem Meltau befallen. Ich spreche von jenem Glauben, es gäbe irgendein einziges Geheimnis der Geschichte, das sich erraten, errechnen oder offenbaren lassen müsse. Diese Haltung stellt sich uns als letzte Stufe des mittelalterlichen Glaubens an den Stein der Weisen dar, diesmal im politischen und gesellschaftlichen Bereich.
Auf diese Art wurden etwa folgende unvereinbar verschiedenen Schlüsselerkenntnisse vorgetragen: Die Nation ist alles. Die Klasse ist alles. Der große Einzelne entscheidet; eine Ansicht, die durch das eben erlebte schreckliche Gegenbeispiel Hitler keinesfalls ausgerottet war. Die Heiligkeit des Eigentums muß wiederhergestellt werden; dann wird die Initiative des einzelnen die Welt gesunden lassen. Und umgekehrt: Erst die völlige Abschaffung dieses Privateigentums (besonders an Produktionsmitteln) ermöglicht eine gerechte Ordnung.
Gerade diese Einsicht in die materielle Abhängigkeit aller gesellschaftlichen, politischen und geistigen Erscheinungen, seit Marx zu einem etwas starren Schema geworden, sollte ja später in sinnvoller Belebung und Ausgestaltung zu einer wesentlichen Grundlage unserer heutigen Weltordnung werden.
Alle diese Lehren überschätzten die Rolle des Staates als Körper einer einzelnen Nation. Auch Kommunisten wurden, zumindest taktisch, Nationalisten. Meist aber wurde sogar in der mehr oder weniger gewaltsamen Herstellung möglichst reiner Nationalstaaten eine Lösung gesehen, die notfalls gewaltsam zu erzwingen sei. Zwischen 1918 und 1947 finden wir alle Grade dieser Gewaltanwendung: von der Annexion mit pseudohistorischer Begründung bis zur Austreibung von Millionen Bewohnern. Hitler war sogar zur offenen Ausrottung übergegangen.
Doch dieser nationalstaatliche Absolutismus stammte aus
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