Science Fiction Almanach 1982
inoffizieller Vertreter Deutschlands. Glauben Sie ernsthaft, daß dort niemand an die Möglichkeit eines Krieges denkt?
Stone (wieder recht verwirrt): Doch … Wahrscheinlich … Aber wenn jeder darauf achtet, ob der andere an diesen Atomkrieg denkt … wozu dann erst Friedenskonferenzen?
Raizew (gutmütig): Sie sind ja ein waschechter Idealist, Stone! Na, darüber müssen wir noch mal reden … Jetzt wollen wir weitermachen.
Stone: Weitermachen … Ja …
(Ausblenden.)
(Sofort anschwellend – Musik „Stars and stripes“. Einige Takte. Dann laute, schneidige Stimme)
Stimme: General Marshall! Es ist mir eine besondere Ehre, Sie in dem Augenblick zu begrüßen, wo Sie den Fuß auf die befreite Erde Rußlands setzen! In Ihnen sehen wir den Vertreter des großen verbündeten Landes …
(Rasch wegblenden. Und sofort – neue Musik: „God save the king“ Andere, ähnliche Stimme.)
Stimme: Herr Minister! Meine Herren von der britischen Delegation! Im Namen von Generalissimus Stalin darf Ich Sie willkommen heißen auf dem Boden Moskaus, der Hauptstadt, die gleich London niemals von den faschistischen Feinden betreten werden konnte …
(Rasch wegblenden. Sofort – neue Musik: „Marseillaise“. Dann dritte, wiederum ähnliche Stimme.)
Stimme: So wie Sie, unsere tapferen französischen Verbündeten, in Ihrer Resistance dem Hitlerschen Terror unbeugsam standgehalten haben, so werden Sie gemeinsam mit uns allen Versuchen widerstehen, aus dem Frieden des gerechten Sieges einen Frieden des voreiligen Verzichtes zu machen …
(Rasch wegblenden)
Vlacek: Das war der Empfang amerikanischer, britischer und französischer Staatsmänner in Moskau. Dabei ist Ihnen gewiß die Musik aufgefallen. Immer eine andere. Aber – alle diese Klänge waren unbestimmt miteinander verwandt, nicht wahr? Es handelt sich hier um die sogenannten Nationalhymnen. Uns im 21. Jahrhundert fallt es nicht ganz leicht, die Bedeutung dieser Musik zu verstehen. Aber den Menschen von 1947 war sie vertraut und heilig. Ihre Herzen schlugen dabei höher. Jede dieser Melodien hatte ihre Geschichte. Eine Geschichte von Fürsten und Feldherren, Kriegen und Siegen, an die sie erinnerten. So waren sie eines der wirksamsten Mittel, um jede Nation mit der heftigen Überzeugung zu erfüllen, sie sei besser als andere.
Und nun beachten Sie: Soeben wurden diese Hymnen gespielt zur herzlichen Begrüßung befreundeter Gäste! Auch wo es um Einigkeit und Frieden ging, wurde vor allem das Trennende so feierlich-feindselig betont! Ein Brauch, der äußerst bezeichnend ist für den ganzen Geist des späten Nationalismus.
Ein Land hatte um diese Zeit keine Nationalhymne: Deutschland, um dessen Schicksal es in Moskau ging. Es war überhaupt kein Staat mehr. Waren also die Deutschen ihrer Zeit um Jahrzehnte voraus? In der Tat. Nur wollten sie, erklärlicherweise, von diesem Vorzug nicht viel wissen. Denn er stammte nicht aus eigenem, freiem Entschluß, sondern aus Vorschriften der Sieger.
Viele Deutsche empfanden es geradezu als Schmach, keine Hymne mehr zu haben, die ihr Blut schneller antrieb. Vorher, unter Hitler, hatten sie sogar zwei solcher Tabu-Melodien gehabt. Das entsprach recht gut der Tatsache, daß die Deutschen das äußerste an Übertreibung des nationalen Wahns entwickelt hatten. Nun war das Gift in der Welt – und kam nicht so leicht wieder zum Verschwinden.
Das vergaßen die Bazillenträger, von denen die anderen angesteckt worden waren, nur zu gern. Sie sahen nur die Splitter in des Nachbars Augen … Und so kam es zu Debatten wie dieser. Im Zonenbeirat, einer beratenden Körperschaft des durch England besetzten Teils von Deutschland:
Stimme: Es spricht Dr. Schumacher.
Schumacher: Wir Sozialisten werden im Ausland neuerdings als Nationalisten bezeichnet, weil wir für gerechte Bedingungen kämpfen. Wir weigern uns nicht, Reparationen zu zahlen; aber Reparaturen sind dringlicher!
(Beifall)
In Moskau muß die Ostgrenze zur Diskussion gestellt und dabei an die Weltvernunft appelliert werden.
(Beifall)
Stimme: Ministerpräsident Steltzer!
Steltzer: Vor allem müssen wir darauf bestehen, daß deutsche Sachverständige in Moskau gehört werden.
(Beifall und Widerspruch)
Ein Friede, der nicht mit uns beraten wurde, kann kein Friede sein! Kein Mitglied meiner Partei wird allerdings einen Vertrag jemals unterschreiben, der die Oder-Neiße-Grenze verewigen soll!
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