Science Fiction Almanach 1982
…
Frau Stone: Was: Überhaupt? War es nicht interessant?
Stone: Das ist so ein Wort … Ja, interessant, natürlich. Aber vor allem: Enttäuschend.
Frau Stone: Du – das sagen die Zeitungen auch.
Stone (ironisch): So? Sagen die das auch?
Frau Stone: Wie kam das eigentlich?
Stone: Tja … Nimm zum Beispiel mich. Dem Hitler bin ich damals entkommen. Und was ist nun? Sein Geist geht überall um. Sie sind angesteckt – oder so etwas Ähnliches, verstehst du? Und da soll eine neue Welt gebaut werden …
Frau Stone: Das steht genau so heute in der „Times“.
Stone (sarkastisch): So? Steht das da?
Frau Stone: Hier – die heutige Nummer. Bernard Shaw hat einen Brief an die „Times“ geschrieben.
Stone (aufmerksamer): Einen Brief an die „Times“?
Frau Stone: Ja. Hör mal zu: „Der Fehler unserer Zeit ist der Unglaube. Das ist nur ein anderes Wort für Dummheit. Sie vermag an nichts zu glauben, vor allem nicht an sich selber. So erklärt sich das, was eben in Moskau geschah. Seit zwanzig Jahren ist erwiesen, daß Konferenzen keine Ergebnisse haben. Aber wir sind maßlos erstaunt, daß auch diese Konferenz ergebnislos war. Am meisten staunen die Teilnehmer. Sollte es sich um eine Auslese der – Ungläubigsten handeln?“ – Großartig, was?
Stone: Ja … aber …
Frau Stone: Warte. Hier kommt es: „Russische Fünfjahrespläne, Roosevelts Staudämme, Hitlers Befehle, der Krieg: Dabei kommen Ergebnisse zustande, die keine Konferenz je erzielt. Sollten wir es nicht doch lieber mit solchen Methoden versuchen? Nennen wir sie meinetwegen Hitlermethoden. Alles besser als der holde, ahnungslose Schlummer der Ungläubigen von Moskau.“ – Genau das, was du sagst!
Stone: Aber ganz und gar nicht!
Frau Stone: Na ja, mit anderen Worten. Aber – es ist doch deine Meinung?
Stone (heftig): Nein!
Frau Stone (verwirrt): Wieso? Ist es verkehrt?
Stone (sehr klar): Schlimmer. Es ist – halb richtig. Die in Moskau, die waren gar nicht dumm. Sie wollten einfach nicht.
Frau Stone (entsetzt): Aber Bob! Was wollten sie nicht?
Stone: Frieden, Verträge, Einigung – überhaupt ein Ergebnis!
Frau Stone (durcheinander): Das ist doch Unsinn!
Stone (bitter): Ich habe es erlebt, gehört, gesehen. Ich habe es auf Platten aufgenommen!
Frau Stone (unsicher): Aber … das wäre ja schrecklich …
Stone: Das ist schrecklich. Aber (Entschluß) – ich werde es schreiben. Auch in einem Brief an die „Times“!
Frau Stone (wieder erschrocken): Ach, Bob … Das … das liest doch niemand …
Stone (leicht ärgerlich): Shaws Brief hast du gelesen!
Frau Stone: Ja, Bernard Shaw! Wenn der so etwas schriebe …
Stone: Mary!
Frau Stone: Ja?
Stone: Glaubst du, daß es schwer ist, Shaw zu sprechen?
(Motor brummt kurz laut auf. Wegblenden.)
Vlacek: Unwichtig, wie Mr. Stone seine Absicht ausführte. Er führte sie aus!
Noch heute, im Jahre 2047, ist bekanntlich der Einfluß von einzelnen Persönlichkeiten auf Wendepunkte der Geschichte umstritten. Zweifellos war Shaw eine bedeutende Persönlichkeit; höchsten Einfluß erreichte er allerdings erst später, in seinem elften Jahrzehnt. Ebenso zweifellos stehen wir hier an einem Wendepunkt der Geschichte; er ist wichtiger als die Erfindung des Pulvers oder die Entdeckung der Atomkraft.
Natürlich ist es unsinnig, anzunehmen, ein einzelner Mensch hätte um die Mitte des 20. Jahrhunderts das Antlitz der Welt verändern können. Die Voraussetzungen dazu waren da. Es geschah einfach. Und sinnvollerweise vollzog die größte Entscheidung der neueren Geschichte sich anonym. Aber irgendeiner unter den zwei Milliarden damaliger Erdbewohner mußte eben das Sandkorn sein, das die Lawine auslöste. Sicherlich gab es sogar viele solcher Sandkörner; von einigen anderen werden wir noch hören. Zwei kennen wir genau: Den berühmten Dichter – und den kleinen Techniker, dessen Namen die meisten von Ihnen heute zum ersten Male hören.
Wir sind im Hause Shaws. In Ayot St. Lawrence, Welwyn, Hertfortshire; Station Weasthhampstead, London-Nordostbahn. Das alles stand sorgfaltig auf Shaws Briefbogen gedruckt.
Dort geht er mit seinem Besucher auf der Terrasse hin und her. Es ist der Nachmittag des 7. Mai 1947. Ein Datum, genau so wichtig wie jener 12. Oktober 1492, an dem Kolumbus den Matrosen aus dem Mastkorb rufen hörte: Land! Land! – Stone aber ruft Shaw
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