Science Fiction Almanach 1982
meistgeliebten Frau anzuhalten. Davon, von diesem schönen und großen Plan, sprach nicht nur – nach dem zehnten Glas, nie vorher – der Kapitän, davon sprach das ganze Städtchen. Man fühlte mit dem braven Seemann, man hieß den Plan gut und malte sich den Augenblick aus, da der Kapitän vor die Frau seiner Wahl treten und sie um ihre Hand bitten würde. Wenn Donna Erna, hieß es, nur zur Hälfte so schön sei wie das Schiff, das ihren Namen führte, so war der Kapitän wirklich der Glücklichsten einer zu nennen. Donna Erna wurde ganz von selbst zum Inbegriff irdischer Schönheit, und der reiche Pedro Pereira, ein verrückter Kerl, der sich in Erinnerung an Stambul, die dunkle Quelle seines Wohlstandes, mitten in seinen Garten ein schlankes Minarett hatte bauen lassen, entwarf mit Pastellstiften ein Phantasiebildnis der schönen Unbekannten, das allgemein Anklang fand.
So verging die Zeit. Wie sehr sie verging, erwies sich eines Tages, als der Schiffskoch entdeckte, daß der Rumpf der „Erna“ wie ein ehrwürdiges Riff ganz und gar mit Muscheln überkrustet war. Er fuhr sofort an Land und gab dem Kapitän davon Kunde. Der hörte sich das an, vergaß es aber sogleich wieder, weil er mit Lopez, dem Besitzer der großen Windmühle, in ein hochwichtiges Gespräch vertieft war, das nicht recht vorwärtskam, weil beide den Faden verloren hatten. Den Muscheln zum Trotz blieb es beim alten. Der Kapitän sprach jeden Abend davon, daß die Brautfahrt nunmehr immer näher rücke, daß sie unmittelbar bevorstehe, und die Leute von La Botella glaubten ihm, denn sie hatten seine Sache zu der ihren gemacht. Es wäre noch lange so fortgegangen, wenn nicht der Kapitän an einem besonders schönen Abend eine Flasche Arrak vor sich gehabt hätte. Die Flasche war, wenn auch unerheblich, bereits angebrochen, und was sie noch enthielt, das trank der Kapitän. Dieser Trunk hatte auf den Seemann eine große Wirkung, er erfüllte ihn mit Tatendrang. Der Kapitän stand auf und verschwor sich laut und deutlich, noch in der gleichen Nacht die Anker zu lichten und seine Brautfahrt anzutreten. Die Leute von La Botella billigten den Entschluß, obwohl er sie schmerzte. Sie tranken dem Kapitän zu und gaben ihm in später Stunde, als der Freier nicht mehr zu halten war, das Geleit zum Hafen. Der Kapitän stieg in eine kleine Jolle und verschwand mit kräftigen Ruderstößen im Dunkel des Hafens.
In dieser Nacht schliefen die Freunde des Kapitäns so fest, wie sie getrunken hatten, doch sie wurden von unruhigen Träumen heimgesucht. Sie hörten Segel im Winde knattern und erblickten den Seemann, wie er auf seinem stolzen Schiff der fernen Geliebten entgegenflog. Sie sahen alles, was sie sich schon hundertmal vorgestellt hatten, nur war es jetzt viel deutlicher. Auf jede Nacht folgt ein Morgen, auch in La Botella. Und als sich die Bürger den Schlaf aus den Augen rieben und einen wehmütigen Blick in den Hafen schickten, den sie leer und verlassen glaubten, sahen sie den Dreimastschoner „Erna“ draußen liegen, so still und friedlich, als sei von einer Ausfahrt nie die Rede gewesen.
Es währte nicht lange, so erschien auch der Kapitän wieder an Land. Er habe die ganze Nacht hindurch versucht, aus der Bucht herauszukommen, erzählte er, aber – und hier machte er einen hübschen Scherz – es müsse wohl jemand den „Flaschenhals“ verkorkt und verpicht haben, denn die Ausfahrt sei ihm nicht gelungen. Alle lachten, und man begab sich zu einem gemeinsamen Trunk, der nicht der letzte war, weder an diesem Tage noch an vielen späteren. Und so kam es, daß es nun doch beim alten blieb und die „Erna“ fortan mehr Muscheln ansetzte als irgendein gewöhnliches Felsenriff.
Alles Leben reicht eben nur so weit wie die Hülle, die es umschließt.
Paul Scheerbart
Zack und Sidi und der große Kopf.
Eine Ceres-Novellette
„O du Weltengüte!“ rief der breite Sidi, „bist du schon wieder mal da, mein lieber Zack? Du mußt ja eine fabelhafte Energie besitzen! Du Frühstückverachter! Dein Fuß muß ja so beweglich sein wie ein Rankenschleier. Zack, du Gummifuß, leg deinen großen Zeh an meinen kleinen Zeh und erzähle mir von deinen Taten.“
„Daß wir immer noch nicht die Frühstückerei entbehren können“, erwiderte der Zack, „kommt mir heute beinahe schon wie eine Beleidigung meiner Persönlichkeit vor.“
„Na“, rief da der breite Sidi wieder, „man muß doch auch mal Pause machen. Man kann doch nicht immerzu
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